Klärung zur Debatte des Lehrerstellen-Abbaus

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Gestern kamen Irritationen auf, weil es hieß, die grün-rote Koalition wolle bei der Bildung massiv sparen und hierzu Lehrerstellen abbauen. Um einen besseren Eindruck vom Gesamttableau zu bekommen, hier eine Mail aus der grünen Landesgeschäftsstelle zur Erklärung des Hintergrunds:

An alle Kreisverbände
Zur Kenntnis: Landesvorstand, alle Abgeordneten

Liebe Freundinnen und Freunde,

die gestrigen Äußerungen der beiden Verhandlungsführer gegenüber der Presse haben zu Irritationen geführt, weil der Eindruck entstehen konnte, die Grundlinien zur Finanzpolitik würden zu Lasten des Bildungsbereichs gehen.

Das ist so nicht richtig. Eines unserer großen Vorhaben in der neuen Landesregierung wird es sein, die Bildung im Land qualitativ deutlich zu verbessern.
Das fängt zum Beispiel mit der Verbesserung der frühkindlichen Bildung und der frühen Sprachförderung an. Das führt – neben anderen Maßnahmen im Schulbereich – weiter über den Ausbau der Ganztagesschulen und der individuellen Förderung. Und auch im Hochschulbereich sind notwendige Maßnahmen zu ergreifen. So wollen wir die Abschaffung der Studiengebühren sowie den dringend notwendigen Ausbau der Studienplätze realisieren.

Nun steht uns eine demografische Entwicklung bevor, die die SchülerInnenzahlen zumindest bis zum Jahr 2020 dramatisch sinken lässt. Gingen wir vom jetzigen Bildungsniveau in unseren Schulen aus, müssten aufgrund dieses Rückganges der SchülerInnenzahlen bis 2020 20.000 wegfallende LehrerInnenstellen nicht mehr neu besetzt werden. Das werden wir nicht machen, denn wir stehen, wie gesagt, für eine qualitative Verbesserung in den verschiedenen Bildungsbereichen. Deshalb wird ein Großteil der freiwerdenden Mittel eben für diese qualitative Verbesserung in der Bildung eingesetzt.

Ein kleinerer Teil der freiwerdenden Lehrerstellen soll im Laufe der Jahre bis 2020 nicht mehr neu besetzt werden und die eingesparten Mittel sollen in die Konsolidierung des Haushaltes fließen. Denn auch die Haushaltskonsolidierung ist eine dringend notwendige Maßnahme, die die grün-rote Regierung anpacken muss. Mittlerweile steht das Land vor einem Schuldenberg von 45 Milliarden Euro. Wenn die nach uns kommenden Generationen nicht nur damit beschäftigt sein dürfen, die Zinsen und Zinseszinsen dieser Schulden zu tilgen, sondern auch noch in der Lage sein sollen, selbst zu gestalten, müssen wir sparen. Das ist schmerzhaft, aber eine unvermeidbare Konsequenz der unsoliden Haushaltspolitik der vergangenen CDU-Regierungen.

Durch die demografische Entwicklung sind wir jedoch in der Lage, sowohl die qualitative Verbesserung im Bildungsbereich anzustoßen als auch einen gewissen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung zu leisten. Natürlich können wir damit nicht alles Notwendige finanzieren, und auch den Haushalt kriegen wir nicht ausschließlich dadurch saniert. Wir werden weitere Maßnahmen ergreifen müssen. Zum Beispiel werden wir die Zahl der SteuerprüferInnen im Land relevant erhöhen, damit die Steuern, die dem Land zustehen, tatsächlich auch in den Haushalt einfließen. Auch die Erhöhung der Grunderwerbsteuer ist eine Maßnahme, die den Kommunen zu Gute kommt, zum Ausbau der Kinderbetreuung.

Viele Grüße
Annette Schäfer
Landesgeschäftsführerin
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Baden-Württemberg

Dieser Beitrag hat 9 Kommentare

  1. Luke

    Ich finde es wichtig, dass diese Informationspolitik durchgeführt wird um zumindest ansatzweise die „Irritationen“ zu beseitigen. Aus diesem Grund habe ich mir auch die auf Facebook verlinkte Pressekonferenz von Kretschmann und Schmid zur Finanzpolitik angesehen. Natürlich konnte man mit diesem immensen Schuldenberg der CDU-Regierung nicht rechnen.

    Nichtsdestotrotz bleibt für mich folgendes bestehen:
    Fakt: vor der Wahl wurde angekündigt in den Bildungssektor zu investieren.
    Fakt: Noch am Wahlabend wurde angekündigt mehr Lehrer einzustellen um die Klassengrößen zu verringern.

    Fakt: Ich bin trotz Informationspolitik nicht etwa „irritiert“, sondern enttäuscht und frustriert, dass meine Stimme auf diese Weise verfälscht wurde. Natürlich werden die Grünen für viele andere wichtige politische Fragen eintreten, für die ich sie gewählt habe. Doch das erste Wahlversprechen so früh zu brechen ist schon ein dickes Ding..!

  2. Henning

    Wenn es bei weniger Schülern zunächst einmal eine gleichbleibende Zahl von Lehrern gibt, gibt es doch mehr Lehrer pro Schüler und die Klassengröße sinkt.

  3. Henning

    Seite 118 unseres grünen Wahlprogramms:

    Wir wollen früh investieren statt später teuer zu reparieren. In der nächsten Legislaturperiode benötigen wir erhebliche zusätzliche Mittel für den Ausbau und die Qualitätsverbesserung der U3-Betreuungseinrichtungen und Kindertagesstätten.
    Bei der Finanzierung dieses Bedarfs müssen Bund und Länder zusammenwirken. Darüber hinaus wollen wir die Betreuungsrelation in den Schulen verbessern. Dazu benötigen wir zusätzliche Mittel für den Ausbau der Ganztagsschule, die Einstellung von sonderpädagogischen Lehr- sowie heilpädagogischen Fachkräften, die Aufstockung der Stellen für SchulpsychologInnen, den Ausbau der Krankheitsreserve, den Abbau des Unterrichtsdefizits an beruflichen Schulen und Sonderschulen, den Ausbau der beruflichen Gymnasien sowie die Einführung des Ethikunterrichts ab der 1. Klasse alternativ zum Religionsunterricht, zur Drittelfinanzierung der Schulsozialarbeit sowie für die Verbesserung der Lernbedingungen und die Schaffung von Anreizen für die innovative Schulentwicklung.
    Wir wollen in der nächsten Legislaturperiode deshalb alle rechnerisch durch den SchülerInnenrückgang frei werdenden Stellen für den Ausbau und die Qualitätsverbesserung der Bildungseinrichtungen einsetzen. Längerfristig können wir die zunächst notwendigen höheren Ausgaben, die wir für die Finanzierung aller Bildungseinrichtungen von den Kitas bis zu den Hochschulen benötigen, durch die demografische Entwicklung refinanzieren.

  4. simon

    wieviel % der einnahmen eines WEITEREN steuerprüfers verbleiben denn für den landeshaushalt? eine zahl bitte hennin. du erinnerst dich „thinking at the margin“, bitte auch im fb posten, sonst verpass ich die zahl 🙁

  5. Henning

    @Simon
    Zahlen kann ich dir wie gesagt da jetzt spontan keine nennen, aber einen Artikel, wo zum Beispiel die OECD fordert, dass Deutschland mehr Steuerprfer einstellen soll: Der Finanzexperte der OECD rief dazu auf, die Steuerverwaltung von Sparanstrengungen auszunehmen und sogar auszubauen: „Investitionen in die Steuerverwaltung sind Investitionen mit hohen Renditen.“

    Quelle: https://www.zeit.de/wirtschaft/2010-07/oecd-deutschland-steuerpruefung

    @Luke (Nachtrag)

    Stuttgarter Zeitung, 13. April 2011:

    Kretschmann will in die Bildung investieren

    […] Für Aufruhr hatte dagegen Anfang der Woche die Ankündigung gesorgt, die neue Koalition wolle Lehrerstellen streichen. Die Kritik der Verbände fand Kretschmann „etwas überzogen“, wie er am Mittwoch sagte. Die Pläne seien „wohl falsch rübergekommen“. Er erläuterte noch einmal, dass bis zum Ende der Legislaturperiode im Schuljahr 2015/16 die Zahl der Schüler um elf Prozent auf etwas über eine Million sinke. Das entspreche rund 10.000 Lehrerstellen. Bis zum Jahr 2020 würden weitere 6000 Stellen rechnerisch frei. „Die Botschaft ist klar: Was wir zur Qualitätsverbesserung brauchen, wird aus dieser demographischen Rendite finanziert“, beteuerte Kretschmann. Es werde eine „enorme Verbesserung der Lehrer-/Schülerrelationen geben“. Insgesamt werde die grün-rote Koalition gewaltig zusätzlich in Bildung investieren. Es würden „alle notwendigen Bedarfe“ erfüllt. Doch dürfe man auch das Ziel der Haushaltskonsolidierung nicht aus den Augen verlieren.

    Nur die Stellen, die nach der Qualitätsverbesserung übrig bleiben, sollen zur Konsolidierung verwendet werden.

  6. Gottfried

    unglaublich ! das darf ech nicht mehr wahr sein. keiner partei kann mein sein vertrauen schenken !

  7. Henning

    @Gottfried
    Schau dir an, was ich als Auszug aus dem Wahlprogramm gepostet habe.

  8. simon

    henning:

    volkswirtschaftlich betrachtet ja 😉 aber als land muss ich das gehalt erstmal wieder drin haben, da aber bund und kommunen erhebliche anteile abbekommen und weitere anteile im länderfinanzausgleich versumpfen schaut die rednite für die einzelnen länder jeweils negativ aus … wir haben auch hier zuviel umverteilung.

    bevor es sich für BaWü lohnt muss erst das system sich ändern. daher neue frage „wie wird mit der klage gegen den länderfinanzausgleich verfahren werden?“

  9. Boris

    @Henning

    Das Argument mit den „rücklaufenden Schülerzahlen“ scheint mir eher ein ziemlich polemisches.

    Selbst wenn die Aufstellung gefrusteter und abgearbeiteter Lehrer ignoriert wird und wenn man einfach so tut, als könnte mit sich verringernden Schülerzahlen alleine schon ein positiver Umbau von Schule auf den Weg gebracht werden (was schon in den achzigern in Hessen vergleichbar scheiterte), ist es doch tatsächlich so, dass der Ausbau von Ganstagsschulen auch ganz oben auf der Agenda steht.

    Ganztagsschulen alleine bedeuten aber schon ein deutliches MEHR an qualifizierter Betreuung!

    Eine tatsächliche Verbesserung vom Bildungsangebot aber, jenseits von „abgedeckter Aufsicht“, würde dann den realen Bedarf an Lehrkräften noch viel weiter raufschrauben. Wir haben ja auch gar keine 100%, sondern chronischen Unterrichtsausfall als Ausgangspunkt dieser Diskussion. Hauptschulen an denen schlecht getarnt sogar Schulsozialpädagogen wie Hilfslehrer auftreten, nur um den Betrieb am laufen zu halten.

    Wie kann man angsichts einer völligen Unterversorgung, eines desolaten Ist- Zustandes und noch dazu der eigenen hoch gesteckten Ziele mit demografischen Argumenten kommen? Dieses ist wirklich ausgesprochen albern.

    Weiterhin behaupten vor allem die Grünen doch erkannt zu haben, dass wir ein auf unsinnige Selektion ausgelegtes Schulsystem fahren, anstelle eines welches sich um Förderung bemüht. Wollte man hier auch nur ansatzweise gegensteueren würde sich ein Stellenstreichen ebenfalls völlig verbieten. Bei uns ist Schule ein sich selbst beweisendes System, bei dem einfach angenommen wird, es gäbe eine bestimmte „natürliche“ Relation zwischen Hauptschülern, Realschülern und Abiturienten. Die Praxis ist schon personell darauf ausgelegt diese krude Annahme zu bedienen.

    Grüne und SPD bleiben hier unglaubwürdig, die angestrebten Qualitäten vage und unrealistisch.

    Boris

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