Politik 2.0 – Angst vor Kontrollverlust

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Bei der Frankurter Rundschau habe ich eben einen sehr guten Artikel zum Thema Politik 2.0 gelesen. Grob zusammengefasst: Politik 2.0 heißt Dialog und permanentes Überzeugen der eigenen Anhänger. Ständiges Zuhören und Kontrolle abgeben.

Insbesondere der Kontrollverlust wird von den meisten in der Politik nach wie vor eher als Bedrohung angesehen. Auch innerhalb der Grünen ist es nicht immer so einfach, die Leute von mehr Web 2.0 in der Politik zu überzeugen. Ich muss ehrlich sagen, dass ich davon erstmal ziemlich überrascht war.

Denn die Grünen sind ja auch dafür angetreten, die Politik basisdemokratischer zu machen und die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. Nicht alles davon war wirklich realitätstauglich und so wurden zum Beispiel die Rotation und andere Dinge (glücklicherweise) wieder abgeschafft. Außerdem hat sich natürlich die Perspektive geändert. Man guckt als Grüner eben nicht mehr von außen auf das Parteiensystem, sondern man ist ein Teil davon.

Dennoch ist die grüne Parteikultur nach wie vor offener als bei den anderen Parteien. Vorstandssitzungen zum Beispiel sind mitgliederöffentlich, Mitgliederversammlungen und Parteitage sind für alle offen, die kommen möchten. Genau daher rührt auch meine Verwunderung über die Zögerlichkeit in grünen Kreisen, was das Web 2.0 angeht.

Gerade weil die grünen Grundwerte denen des Web 2.0 sehr nahestehen, verschenken wir hier meines Erachtens ziemliches Potential. Unser Schritt zu einer Politik 2.0 wäre viel kleiner als der von anderen Parteien, weil wir kulturell ohnehin schon sehr nah dran sind.

Aber so langsam kommt’s ja ins Rollen. Nicht nur, aber auch sehr stark angetrieben von jüngeren Grünen, die wir zum Glück zahlreich haben. Je mehr Erfolg übrigens diejenigen haben, die offensiv das Web 2.0 nutzen, desto leichter lassen sich auch Skeptiker überzeugen. Also Twitterer, seht euch mal diese Liste an und klickt ein paar Mal auf Follow. Und gebt Feedback.

Dieser Beitrag hat 11 Kommentare

  1. SG

    Politik 2.0 heißt Dialog und permanentes Überzeugen der eigenen Anhänger. Ständiges Zuhören und Kontrolle abgeben.

    Aber das war doch schon immer so. Jeder Kanzler ist angewiesen auf die Unterstützung seiner Partei/Fraktion bzw. Koalition. Die Agenda 2010 wurde nicht “handstreichartig durchgepeitscht” (FR), sondern tatsächlich von Rotgrün im Bundestag massiv abgeändert. Gut, Schröder hat einen sehr kampfeslustigen Stil seiner Partei und Fraktion gegenüber gepflegt, aber daran ist er ja letztlich auch gescheitert. Die Koalition ist ja nicht an den Grünen, sondern an den inneren Spannungen der SPD gescheitert.

    Dennoch ist die grüne Parteikultur nach wie vor offener als bei den anderen Parteien. Vorstandssitzungen zum Beispiel sind mitgliederöffentlich, Mitgliederversammlungen und Parteitage sind für alle offen, die kommen möchten.

    Aber ist es dann nicht so, dass sich die entsprechenden Vorstandsmitglieder vor der öffentlichen Sitzung bereits nicht-öffentlich treffen bzw. austauschen (über Telefon/E-Mail etc.)?

  2. Robin

    „Vorstandssitzungen zum Beispiel sind mitgliederöffentlich, Mitgliederversammlungen und Parteitage sind für alle offen, die kommen möchten.“

    Also das ist nun wirklich kein Alleinstellungsmerkmal der Grünen.
    Bei der SPD ist das genauso. Selbst die CSU wird es sich nehmen lassen, ihre Sitzungen als „mitgliederöffentlich“ und normale Sitzungen für jeden zugänglich zu erklären.

  3. julia seeliger

    Trotz der genannten Einschränkungen finde ich die grüne Partei schon sehr offen, was auch an der kleinen Mitgliederanzahl liegt: Man kommt da in der Partei und wird quasi sofort in den Vorstand gewählt, wenn man sich nicht ganz dumm angestellt hat. Auch – und ich finde das sehr gut, habe das auch in meinem Rechenschaftsbericht positiv erwähnt – habe ich den Eindruck, dass Landes- und Bundesparteitage qua Geschäftsordnung (Rederecht) offener sind als bei anderen Parteien. Die Antragsberechtigung ist auch sehr offen. Im Klartext: Bei uns kann jede und jeder einen Antrag stellen und eine Rede halten. Generell ist es – glaube ich – bei den Grünen auch einfacher, einen Parteitag zu „hacken“ (Beispiele Meine Wahl in den Parteirat auf der Kölner BDK, Göttinger Parteitag). Es ist einfach alles etwas chaotischer und damit unvorhersehbarer für Medien und Parteispitze.

    Ob die Grünen ihren hohen Anspruch nach „Basisdemokratie“ auch weiterhin verwirklichen können, hängt davon ab, ob dies gewünscht ist. Da müssen alle mitmachen, Basis (denn „Macht kommt von Machen“) und die Spitze, die es in der Hand hat, Diskussionsprozesse basisdemokratisch zu „organisieren“ (damit meine ich nicht „steuern“).

    Zum Web2.0-Thema: Ich glaube, die Grünen haben hier auf Grund ihres niedrigen Durchschnittsalters und der formalen hohen Bildung (damit vermutlich einhergehend: hohe Netz-Publikations-Motiviation) die besten Voraussetzungen, intelligent mit den neuen Netztechniken umzugehen.

    Mal sehen, ob sie das hinkriegen, v.a. im Bundestagswahlkampf. Ich bin gespannt!

  4. Thomas R. Diehl

    Achja, Web 2.0. Ich persönlich bin einfach nicht der Mensch, der solche Plattformen regelmäßig füttert und dafür einer, der sie für sinnlos hält. Und ich glaube, damit stehe ich nicht alleine da.
    Blogs, Foren, Wikis und Youtube sind ganz praktisch, alles andere (Twitter, MySpace, die diversen VZs) braucht mehr Zeit auf als es mE wert ist und der Hype um jede dieser Plattformen ist nach etwa einem halben Jahr eh vorbei.

    Diese Wahrnehmung allerdings kann daran liegen, dass ich schon seit den 90ern im Internet dabei bin und daher selber ein Fossil aus den Web-1.0-Tagen bin. Und über 20.

  5. Henning

    @SG
    Was den ersten Teil deines Kommentars angeht, hast du natürlich recht. Das sind eher generelle Merkmale guter Führung. Zu ergänzen bleibt wohl, dass dies noch stärker fürs Web 2.0 bzw. für Politik 2.0 gilt.

    Aber ist es dann nicht so, dass sich die entsprechenden Vorstandsmitglieder vor der öffentlichen Sitzung bereits nicht-öffentlich treffen bzw. austauschen (über Telefon/E-Mail etc.)?

    Zum Teil wird da natürlich vorher schon abgeklopft, wer wie tickt und es wird die eigene Ansicht detaillierter dargelegt als das in der Sitzung möglich wäre. Letztlich laufen aber über 90 % der Debatte doch in der Sitzung, zumal sich da meist noch Sachen ergeben, die vorher so nicht anstanden (neue Entwicklungen, neue Infos, spontane Anträge, andere Sichtweisen etc.). Jedenfalls erlebe ich das so im grünen Landesvorstand Baden-Württemberg.

    @Robin
    Also das ist nun wirklich kein Alleinstellungsmerkmal der Grünen.
    Bei der SPD ist das genauso. Selbst die CSU wird es sich nehmen lassen, ihre Sitzungen als “mitgliederöffentlich” und normale Sitzungen für jeden zugänglich zu erklären.

    Na, was sie erklären und was wirklich ist, muss ja auch nicht zwingend übereinstimmen. Ich weiß nur, dass die CDU jedenfalls auf ihrem Bundesparteitag von den Delegierten und Gästen einen Tagungsbeitrag von 50 EUR verlangt.
    Aber wenn das bei euch in diesen Punkten auch so ist wie bei uns, dann stelle ich mal ein paar Fragen: Wäre ich SPD-Mitglied, wie könnte ich einen Antrag auf einem Landesparteitag oder Bundesparteitag stellen? Wie schaffe ich es, dort zu reden? Wie leicht kommt man als Nicht-Mandtagsträger in Landes- oder Bundesvorstand? Gibt es evtl. Maximalquoten für Abgeordnete? Könnte ich ohne von jemandem vorgeschlagen zu werden einfach so als SPD-Bundesvorsitzender kandidieren?

    @Julia
    Ich weiß da gar nicht viel zu zu sagen. Außer vielleicht, dass ich das ähnlich sehe.

    @Thomas
    Auch ich bin über 20, sehr deutlich sogar inzwischen. Ebenso viele andere web-2.0-affine Menschen, die ich kenne. Und was die Hypes angeht: Ich twittere seit über 1,5 Jahren und der Hype geht gerade erst los.

    Ich bin übrigens auch seit den 90ern im Web aktiv (Juni 1997 erste Website), daran kann’s also auch nicht liegen. Und du sagst ja selber, dass du Blogs und YouTube z.B. etwas abgewinnen kannst. Muss ja nicht alles für jeden interessant sein. Aber vielleicht kommt ja dein Interesse an Twitter oder anderen Diensten auch noch. Ich fand Twitter auch lange Zeit doof und überflüssig.

  6. Till

    Ach Henning, mach doch sowas nicht zwischen den Jahren, da liest das doch niemand! (Na gut, ich bin gerade ein bißchen wenig online, aber vielleicht machen das andere anders).

    Inhaltlich: eine spannende Debatte. Ich denke, dass (jenseits des wir-besser-als-die, warum, hat Julia ja schon erklärt) aber auch mal darüber diskutiert werden muss, was eigentlich wer genau kontrolliert, kontrollieren möchte und möglicherweise nicht mehr kontrollieren kann. Der „Kontrollverlust“ sagt sich so einfach, meint aber vieles, von dem einiges vielleicht durchaus legitim ist. (Bsp.: ein MdB wollte vor zwei Jahren für das grüne Grundsicherungsblog lieber nichts schreiben, weil er sich dann ja hätte dokumentiert und für die Öffentlichkeit sichtbar festlegen müssen, er war sich in seiner Position aber noch unsicher. Ich fand das damals ziemlich einleuchtend — hinter dem Kontrollverlust steckt also bei FunktionsträgerInnen auch die Frage, wer (Medien, ParteifreundInnen, Web2.0-Öffentlichkeit) letztlich die eigene Meinung festzurrt und einen dann auf eine Position festlegt, die dann wieder zu wechseln häufig negativ gedeutet wird — oder gar nicht erst wahrgenommen wird).

  7. Sebastian

    Ich glaube der Kontrollverlust, den du am Anfang angesprochen hast, ist wirklich eine große Bremse gegen mehr Basisdemokratie und Aufklärung. Gerade den großen Parteien würde ich pauschal ein Interesse an mehr Kommunikation mit ihren Wählern und nicht-Wählern absprechen.

  8. Alexander

    Wieso führt ihr Deutschen auf der Verfassungsebene eigentlich nicht einfach auch das Initiativ- und Referendumsrecht für Bürger ein? Dann hättet ihr neben dem Wahlrecht auch ein Stimmrecht und könntet in der vierjährigen Legislaturperiode auch einmal ein Wörtchen mitreden wenn eure Parlamentarier Dinge beschliessen, die ihr nicht wollt.

  9. Till

    @Alexander: auf Landesebene gibt es die Möglichkeit zu Referenden durchaus, werden allerdings wenig genutzt. Ganz so einfach scheint mir das Mitreden in der Legislaturperiode allerdings auch nicht zu sein, selbst in der Schweiz. Ich glaube übrigens, dass die dort ja sehr starken Referenden nur deswegen funktionieren, weil die Regierung — so jedenfalls mein Eindruck — bewusst eher schwach aufgebaut ist (wechselnder Bundeskanzler, Kollegialprinzip, Tradition der fast ganz großen Koalition usw.). Und weil die Schweiz letztlich ein relativ kleines Land ist.

  10. Pixelfree

    Also in meinen Augen ist Web 2.0 für die Parteien noch reine Zukunftsmusik.
    Im grossen und ganzen haben die meisten noch nicht mal das Web 0.8 kapiert.

    Wenn ich mir besonders auf Landes- oder Kommunal Ebene die Webauftritte der einzelnen Parteien anschaue, dann kann ich nur mit dem Kopf schütteln.

    Oft sind die „aktuellsten“ Beiträge aus 2006 – in dieser Zeit hat man wohl versucht auch das Web zu nutzen oder vor direkten Wahlen mal etwas online zu publizieren. Das ist jedoch dann schnell wieder eingeschlafen.

    Die Webauftritte sind teilweise so schlecht, dass man sich wundert, dass diese überhaupt noch online sind. Im Grunde gehört ein Webauftritt heute einfach dazu, aber teilweise würde ich den Parteien vorschlagen lieber ganz darauf zu verzichten bevor sie sich lächerlich machen.

    Auch die Mailadressen der Kandidaten verwundern mich immer wieder.
    Da haben sie schon eine Domain wie z:B. http://www.cdu-spd-oder-gruene-sonstwo.de
    und die Mailadressen zur Kontaktaufnahme mit Vorstand oder sonstigen Führungskräften und Ansprechpartnern sehen dann so aus

    Herr-xy@aol.com
    cdu-sonstwo@web.de

    oder noch besser

    Herr-xy@sein-arbeitsplatz.de

    Unprofessioneller geht es ja wohl kaum noch.

    Besonders der aktuelle Wahlkampf in den USA hat ja wohl gezeigt wie wichtig und auch erfolgreich gut geleistete Onlinearbeit ist, aber das hat wohl hier noch keiner verstanden. Da wird sich lieber mit Wurfzetteln, Ansteckbuttons und Billigkugelschreibern auf den Markplatz gestellt….

  11. Bärbel

    Ich sehe das Problem der Parteien darin, dass sie Angst haben vor der öffentlichen Meinung, die ja durch das Internet ungefiltert verbreitet wird.
    Die Offlinemedien konnten ja immer noch irgendwie kontrolliert werden, auch wenn sie sich unabhängig geben, aber i Internet ist das nicht mehr möglich.
    Daher sollte hier das Augenmerk der Partein auf mehr Transparent und Ehrlichkeit liegen. Dann haben sie das Internet auch nicht zu fürchten

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