Landtagswahl/
Caritas diskutiert mit Kandidaten über Familienpolitik
"Armut
ist erblich in diesem Land"
Familienpolitik unterliegt
offenbar demselben Schicksal wie Elternabende:
Wen es betrifft, der kommt nicht. Immerhin stellten sich am
Montag die
vier Landtagskandidaten 50 Zuhörern der Caritas.
LEONHARD FROMM
GÖPPINGEN -
Viel versprechend
hatte der zweistündige Polittalk mit Diözesan-Caritasdirektorin
Irme Stetter-Karp im Saal der Kreissparkasse begonnen: Auf den
rund 200 Plätzen lagen rote, grüne und weiße
Karten bereit, mit denen die Zuhörer sich Zeichen gebend
in die Runde auf dem Podium einmischen konnten. Und Moderatorin
Barbara Lehmann stellte die vier Landtagskandidaten, deren Parteien
im Landtag bislang vertreten sind, aus einem sozialpolitischen
Fokus vor.
So saß auf
dem Podium eine Frau mit vier Männern, die gemeinsam sieben
Kinder haben. Deren berufliche Qualifikation gab einen Vorgeschmack
auf die Qualität des Abends. Denn der Soziallobbyistin
Stetter-Karp, die Sozialwissenschaften studiert hat, saßen
mit Dietrich Birk (CDU), Peter Hofelich (SPD), Michael Joukov
(Grüne) und Werner Simmling (FDP) vier Betriebswirte gegenüber.
Dass deren Detailkompetenz sich in Grenzen hielt, machten Floskeln
wie "Eltern haben auch die Pflicht zu erziehen" oder
"man muss die Voraussetzungen schaffen" deutlich.
Ausgehend vom "Kinderland
Baden-Württemberg", zu dem Ministerpräsident
Günter Oettinger den Südwesten machen möchte,
betonte die Stuttgarter Caritasdirektorin, die privat in Jebenhausen
wohnt, dass Kinder noch immer das "Armutsrisiko Nr. 1 sind".
Birk wurde konkret: Die Landespolitik setze auf die frühkindliche
Förderung, um insbesondere bei Ausländerkindern sprachliche
und soziale Defizite frühzeitig zu beheben. Kindergarten
und Schule müssten noch intensiver kooperieren, um den
Übergang zur Schulreife mehr Kindern problemlos zu ermöglichen.
Die Kindergartenpflicht
im fünften Lebensjahr bei gleichzeitiger Gebührenfreiheit
für dieses dritte Kindergartenjahr möchte Hofelich
bei einem Wahlsieg der SPD einführen. Vor dem Hintergrund
rückläufiger Geburtenzahlen könne man auch bald
flächendeckend Zweijährigen einen Kindergartenplatz
anbieten. Die gemeinsame Grundschulzeit bis in Klasse sechs
auszuweiten, schien Hofelich gleichfalls sinnvoll.
Statt 85 Millionen
Euro Landeserziehungsgeld jährlich bedarfsunabhängig
auszugeben, würde Joukov (Grüne) dieses Geld lieber
in die gezielte Förderung Benachteiligter investieren.
"Armut ist in diesem Land erblich", meinte der 24-jährige
Ulmer Stadtrat und Landtagskandidat im Wahlkreis Geislingen.
Joukov war für den verhinderten Grünen-Kandidaten
im Wahlkreis Göppingen, Henning Schürig, eingesprungen.
Wenn von den Eltern in der Arbeitswelt Mobilität und Flexibilität
gefordert werde, brauche es eine bedarfsgerechtere Betreuungsinfrastruktur,
sagte Joukov.
FDP-Kandidat Simmling
argumentierte, man müsse auch das Recht aufgeweckter Kinder
auf Förderung sehen. Blieben diese zu lange in Problemgruppen,
würden sie in ihrer Entfaltung behindert. Es lohne, darüber
nachzudenken, warum gut Ausgebildete in ihrer Lebensplanung
Kinder gar nicht mehr vorsähen. Aus dem Plenum kamen klare
Worte. So wurde ein Elternführerschein gefordert oder mehr
Prävention in der Ehe, damit es erst gar nicht zur Scheidung
und damit zum Armutsrisiko kommt.
MIttwoch, 15.02.2006
(Neue Württembergische Zeitung)