Es war ein aufregendes und zuweilen auch aufreibendes Wochenende. Wie viele von euch ja mitbekommen hatten, hatten wir Grünen in Baden-Württemberg einen Landesparteitag alias Landesdelegiertenkonferenz (LDK) in Schwäbisch Gmünd. Es ging um nichts Geringeres als die Aufstellung der Landesliste zur Bundestagswahl 2009.
Die ersten acht Plätze gelten als sicher, so viele sind auch aktuell im Bundestag. Davor waren es sogar neun. Ein Prozent für Grüne bundesweit soll wohl in etwa einen Listenplatz in Baden-Württemberg bedeuten. In den Umfragen stehen wir derzeit bei 8-12 %. Kandidaten gab es aber 28 (27 schriftliche plus eine rein mündliche).
Kein Wunder, dass da nicht jeder bekommt, was er will. Ich wollte Alex Bonde auf Platz 4 und Cem Özdemir auf Platz 6. Kerstin Andreae und Fritz Kuhn auf Platz 1 und 2 waren eh unumstritten. Außerdem wollte ich unsere Stuttgarter Bundestagsabgeordnete Biggi Bender wieder unter den ersten acht haben.
Auf Platz 4 setzte sich dann aber der Parteilinke Gerhard Schick gegen Realo Alex Bonde durch. Damit hatte ich vor Beginn des Parteitags nicht gerechnet. Also hoffte ich fortan auf Platz 8 für Alex und machte auch Werbung für ihn – soweit das neben dem Twittern möglich war.
Auf Platz 6 scheiterte dann Cem Özdemir trotz seiner vielbeklatschten Rede gegen den linken Tübinger Winne Hermann. Erst da wurde mir und vielen anderen klar, dass nun auf Platz 8 mit Alex und Cem zwei Realos gegeneinander kandidieren, wenn nicht einer von beiden zurückzieht. Die Linken machten klar, dass sie sich hier jetzt raushalten und keinen Kandidaten ins Rennen schicken. Aber das Realo-Lager war ratlos – und gespalten. Diese Situation hatte einfach keiner vorhergesehen und daher gab es keinen Plan, wie man mit dieser Situation umgeht.
Für Cem ging es darum zusätzlich zum angestrebten Bundesvorsitz der Partei noch ein sicheres Mandat zu bekommen. Ich glaube auch, dass ein Bundesvorsitzender mit Mandat mehr Möglichkeiten hat und hätte es daher gut gefunden, wenn Cem einen sicheren Bundestagslistenplatz bekommen hätte.
Aber für Alex ging es darum, ob er überhaupt in der (Berufs-)Politik bleibt oder ob man ihn rauskegelt, obwohl er einen verdammt guten Job macht. Er vernetzt die verschiedenen Ebenen, ist im Landesvorstand aktiv, bindet die Jugend ein, kommuniziert seine Arbeit, macht sie transparent und reflektiert auch seine Positionen. Als ich 2004 nicht wieder in den Grüne-Jugend-Landesvorstand wiedergewählt wurde, rief er mich an und sprach mir Mut zu („Hoffe, du bleibst dabei“).
Daher konnte ich einfach nicht Alex Bonde aus dem Bundestag kegeln, nur damit Cem als künftiger Bundesvorsitzender auch ein Mandat hat. Und viele andere dachten genauso. Ich war sehr überrascht als ich mit einem Kreisverband sprach von dem ich dachte, sie würden komplett Cem unterstützen. Sie waren alle für Alex in dieser Situation.
So habe ich – und andere – dann mehrfach versucht Cem davon zu überzeugen, nicht gegen Alex anzutreten, sondern auf Platz 10. Auf Platz 8 verzichten, damit Größe zeigen und dann auf Platz 10 mit super Ergebnis gewählt werden. Das wäre doch die bessere Alternative zur Niederlage auf Platz 8 und ein schönes, optimistisches Signal, dass wir viele Plätze holen. Vielleicht kommt ja Platz 10 auch rein. Aber er wollte es wissen und hatte eben auch Berater, die ihm das Gegenteil von dem sagten, was ich sagte und so trat er auf Platz 8 an und Alex gewann.
Dann verließ er eilig und wortlos den Parteitag und wir alle hofften, dass er nun nicht seine Kandidatur als Bundesvorsitzender zurückzieht. Linke wie Realos waren sich einig, dass Cem Bundesvorsitzender werden soll. Es gab aber eine Mehrheit auf dem Parteitag, die Parteivorsitz und Bundestagsmandat getrennt haben möchte (was für die Landesebene auch nach wie vor in der Satzung steht). Außerdem gab es mehr gute Kandidaten als gute Plätze – und Cem war der einzige, der mit dem Bundesvorsitz noch ein weiteres Standbein in der Berufspolitik hatte. Er war also der einzige männliche Kandidat, den man bei einer Nichtaufstellung nicht aus der Politik rauskegeln würde.
Es war wirklich eine äußerst schwierige Situation, aber ich bin nach wie vor fest davon überzeugt, mich richtig entschieden zu haben. Man darf nicht alles nur der Pressewirkung wegen opfern. Mit dem Mandat für Alex wäre der Preis einfach zu hoch gewesen. Ich möchte mich an dieser Stelle auch bei Cem bedanken. Es ist verständlich, dass es nach diesem Parteitag keine leichte Entscheidung ist, trotzdem weiter als Bundesvorsitzender zu kandidieren. Um so froher bin ich, dass er es tut.
Und so ist das letztendliche Ergebnis des Parteitags unterm Strich und mit etwas Ruhe betrachtet auch viel weniger krass als das Gefühl mit dem man da rausging:
1. Unter den ersten acht Plätzen ging ein Platz mehr an den linken Flügel als bei der letzten Listenaufstellung.
2. Unter den ersten acht Plätzen ist nur eine, die bisher nicht im Bundestag war.
3. Cem hat kein Bundestagsmandat bekommen, kandidiert aber weiter als Bundesvorsitzender.
Alles also eigentlich halb so wild auch wenn es hinter den Kulissen jetzt erst einmal heiß hergehen wird, weil das alles so nicht erwartet war und man versuchen wird, so gut es geht zu analysieren, woran das jetzt lag. Aber man sollte dabei eben auch nicht übertreiben und das Ergebnis dramatisieren.
Die Bundestagskandidaten Platz 1-11 plus Landesvorsitzende, von links: Memet Kilic, Sylvia Kotting-Uhl, Beate Müller-Gemmeke, Petra Selg (Landesvorsitzende), Ingrid Hönlinger, Agnieszka Malczak, Kerstin Andreae, Gerhard Schick, Fritz Kuhn, Winne Hermann, Alex Bonde, Biggi Bender und Daniel Mouratidis (Landesvorsitzender)