Presse: Autorisierungswahn vs. unsaubere Arbeit

Ich kann den Ärger der FAZ über den „Autorisierungswahn“ grundsätzlich verstehen. Aber! Ganz großes Aber! Denn ich habe selbst oft genug erlebt wie die Presse kleine oder große Dinge verdreht hat.

Nach jahrelanger Erfahrung mit der Presse – besonders intensiv bei den Stuttgarter Studiengebühren-Protesten – habe ich mir da angewöhnt, dass es völlig normal ist, wenn ein bisschen was verdreht ist. Das ist es nämlich fast immer.

Dass SPIEGEL online mich mal zum AStA-Vorsitzenden gemacht hat, obwohl ich nur Pressesprecher vom AK Bildung war, ist leider völlig normal. Ganz selten erlebe ich Artikel in denen ich zitiert werde, wo wirklich alles stimmt.

Daher versuche ich ebenfalls, so oft es geht, die wörtlichen Zitate vor Veröffentlichung nochmal zur Durchsicht zu bekommen. Nicht um tatsächlich Gesagtes abzuschwächen, sondern damit da tatsächlich steht, was ich gesagt habe.

Dieser Beitrag hat 9 Kommentare

  1. Robin

    Das kann ich zu 100% bestätigen.
    Was wurde ich schon im Rahmen von Juso-Artikel befördert und degradiert, habe Schwachsinn gesagt (angeblich) und seltsame Meinungen vertreten … alles Dank kreativer Redakture. Manchmal fragt man sich ja da schon, wie dort gearbeitet wird.
    Am Ende erinnert man sich an einen Spruch und gewöhnt sich dran: Hauptsache sie schreiben den Namen richtig.

  2. jk

    Entspricht auch meiner Erfahrung. Manchmal habe ich mich schon gefragt, ob ich bei dem Gespräch überhaupt dabei war. In einem Fall habe ich den Pressesprecher des Landesverbandes gefragt, wie viel ich korrigieren darf, weil einfach gar nichts stimmte. Auf der anderen Seite war das einzige Interview, dass ich nicht autorisiert habe, auch das einzige indem alles stimmte 🙂
    Insbesondere bei Lokalredaktionen habe ich Verständnis, weil die, wenn sie ihre Arbeit halbwegs ordentlich machen wollen, hoffnungslos überlastet sind. Bei mir muss mal ein Sportjournalist das Kandidatenporträt schreiben…

  3. Till

    Mir wär es lieber, es würde nicht autorisiert. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich das damit verbundene Mehrvertrauen in die JournalistInnen nach einer kurzen chaotischen Anlaufzeit in besser recherchierten und redigierten Interviews niederschlägt. So können die sich ja fast drauf ausruhen, dass die gröbsten Fehler vorher noch rausgebürstet werden.

  4. Henning

    @Till
    Ich hab ja in der Regel gar nichts zum Autorisieren vorgelegt bekommen und entsprechend war auch das Ergebnis. Diesen automatischen Qualitätsschub konnte ich also nicht entdecken und halte das ehrlich gesagt auch nicht für schlüssig.

  5. Till

    @Henning: ich meine auch nicht deinen konkreten Fall, sondern eher das große Ganze 😉 — wenn JournalistInnen eh davon ausgehen, dass alles abgesegnet und nachgebessert wird, geben sie sich auch keine Mühe. Oder versuchen, in Kreise reinzukommen und via Gefälligkeitenaustausch schneller als andere an Infos ranzukommen. Die Autorisierung von Interviews gehört für mich zu dieser Kultur dazu. Und die halte ich für falsch.

  6. Henning

    Ich bin da skeptisch. Ich hab mal eine Journalistin erlebt, die in einem Gespräch mit Julis, Jusos und Grüner Jugend immer Stichworte(!) zu prägnanten Zitaten mitgeschrieben hat – aber nicht wer es gesagt hat. Gab dann nachher eine lustige Zitate-Tombola.

    Auch wenn es eher unkritisch war, weil es um die gemeinsame Zusammenarbeit ging, spricht das doch nicht gerade für eine solide Arbeitsweise – im Gegenteil.

    Am ehesten verhindern ließe sich sowas wohl indem mehr Gespräche als Audio aufgezeichnet werden.

  7. Till

    Das mit der Audioaufzeichnung ist definitiv zu zeitaufwendig für tagesaktuellen Journalismus. Und ansonsten ist das halt einfach schlechte journalistische Praxis — was das Nachgeben nach Autorisierungsforderungen auch ist, um’s drittens sorum darzustellen.

  8. Henning

    Und dass ich angeblich Dinge gesagt habe, die ich nicht gesagt habe (oder so nicht gesagt habe), das muss ich deiner Meinung nach einfach hinnehmen?

  9. Wolfgang G. Wettach

    @Henning Einfach hinnehmen sicher nicht. Aber such nicht einfach ärgern – sondern eine -rein sachliche- Gegendarstellung schicken. Jedes. Einzelne. Mal.

    „In dem Artikel … vom … steht: ‚….’`. Das ist falsch. Richtig ist vielmehr:

    „Meine Aussage wird folgendermaßen wiedergegeben: ‚…‘. Das ist nicht richtig. Richtig ist vielmehr dass ich folgendes gesagt habe: ‚…‘. Ort, Datum, Unterschrift, parallel mit Briefmarke.

    Das ist höflich, sachlich, behindert nicht die eigentliche Arbeit, hilft deiner Sachfrage und bringt deine Aussagen nochmal fehlerlos. Und *falls* es ein nächstes Interview gibt 😉 wird man sich etwas mehr Mühe geben.

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