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Grüne
siegreich und europäisch
Wer am Abend dieses
Superwahlsonntags eine spannungsgeladene Atmosphäre erwartet
hat, der bei den Grünen erst einmal am falschen Ort. Man
trifft sich im Zadu im Stuttgarter Westen, dort, wo die Grünen
bei Wahlgängen stets sehr gute Ergebnisse einfahren. Die
wenigen, die sich schon um 18 Uhr hier eingefunden haben, strahlen
Gelassenheit aus. Noch bevor die ersten Hochrechnungen der Europawahl
auf der Großleinwand übertragen werden, witzelte
der Kreisverbandsvorsitzende Georgios Noukas: "Sollen wir
uns schon mal zum Jubeln in die erste Reihe setzen?" Etwas
anderes als ein deutliches Plus erwartet hier keiner.
"Es war klar, dass wir deutlich zulegen", kommentierte
Henning Schürig, der Vorsitzende der grünen Jugend
in Stuttgart, die ersten Zwischenergebnisse der Europawahl.
Auch als die Grünen um 18:20 Uhr auf 10,6 Prozent klettern,
gibt sich Schürig überzeugt: "Wir werden noch
weiter steigen". Es bleibt weiter ruhig: nach und nach
tröpfeln Mitglieder des Kreisverbandes in das Lokal. Ein
Vater, eine Windel unterm Arm, stapft mit seinem Kleinen zum
Wickeln auf die Toilette. Rechts und links der Großbildleinwand
aber deuten bunte Luftballons und Papierblumen an, dass da noch
eine Feier bevorsteht an diesem Abend.
"Isch scho schee", meint Birgit Bender zum Abschneiden
ihrer Partei bei der Europawahl und hält sich zunächst
an das gepflegte Understatement des Abends. Doch dann setzt
die Bundesatagsabgeordnete nach: "Das ist grandios. Wir
sind aber auch die europäischste der Parteien." Klar
ist: das größte Interesse der Mitglieder richtet
sich auf die Ergebnisse der Kommunalwahl, die an diesem Abend
noch nicht ausgezählt sein wird.
Dann brandet plötzlich Applaus auf, als das erste Zwischenergebnis
der Regionalwahl bekannt gegeben wird: "17 Prozent in Stuttgart",
ruft Irmela Neipp-Gerike vom Kreisvorstand. Sie immerhin zeigt
einige Zeichen von Anspannung, die jetzt aber abzufallen scheinen.
Inzwischen hat sich das Zadu gefüllt, Gespräche und
klapperndes Geschirr sorgen für eine akustische Partykulisse.
Um 19 Uhr macht dann eine Meldung die Runde, die von der Parteigesellschaft
lautstark begrüßt wird: Nach der SWR-Prognose erreichen
die Grünen bei der Kommunalwahl 17,5 Prozent. "Es
zeigt sich, dass es sich lohnt, in der Kommunalpolitik einen
eigenständigen Kurs zu fahren", sagt Brigitte Lösch,
die Frau im Duo an der Spitze des Kreisverbandes. Allenthalben
wird die pragmatische Politik der Grünen-Gemeinderatsfraktion
gelobt.
"Ist ja Wahnsinn", ruft jemand hingerissen als 21
Prozent Stimmenanteil bei der Europawahl für Stuttgart
gemeldet werden. "Da haben wir doch allen Grund zu feiern",
ruft Georgios Noukas in die Runde. Angesichts der ausgezeichneten
Zahl findet der Kreisvorsitzende für diesen Wahlsieg doch
überschwänglichere Worte: "Das ist ein Superergebnis,
das ist eine Riesenchance für Boris Palmer bei der OB-Wahl."
Das Ergebnis der Regionalwahl sorgt dafür, dass die Begeisterung
wohl noch lange anhält: 17,2 Prozent in Stuttgart, damit
ein vierter Sitz für die hiesigen Grünen. Für
Werner Wölfle sind die Gründe klar: "Die Leute
haben registiert, dass wir nicht zu den gehören, die Kleinstaaterei
betreiben."
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Mathias Bury
Quelle:
Stuttgarter
Zeitung, 14.06.2004, Nr. 134, Seite 22