Müssen EU-Behörden künftig auf Microsoft-Produkte verzichten bzw. dürfen sie keine neuen mehr anschaffen? Das wäre eine Revolution! Profitieren würde davon wohl vor allem Linux, das ja schon z.B. von der Stadt München seit längerem erfolgreich eingesetzt wird.
Aber der Reihe nach: Im Februar verhängte die EU-Kommission – mal wieder – ein Rekord-Bußgeld von 899 Millionen EUR gegen Microsoft. Die enorme Summe dieser Strafzahlung könnte aber das kleinere Problem für Microsoft sein (zumal sie eh im Geld schwimmen).
Die EU hat nämlich in einer Verordnung von 2002 (1) Folgendes festgelegt:
Von der Teilnahme an einer Ausschreibung ausgeschlossen werden Bewerber oder Bieter, […]
b.) die aufgrund eines rechtskräftigen Urteils aus Gründen bestraft worden sind, welche ihre berufliche Zuverlässigkeit infrage stellen;
c.) die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit eine schwere Verfehlung begangen haben, welche vom Auftraggeber nachweislich festgestellt wurde;
Kein „kann“, kein „soll“, sondern „werden ausgeschlossen“ – und die Kriterien klingen doch sehr nach Microsoft, oder?
Noch dazu steht in einer Richtlinie (2) von 2004:
Von der Teilnahme am Vergabeverfahren kann jeder Wirtschaftsteilnehmer ausgeschlossen werden, […]
a.) die aufgrund eines nach den Rechtsvorschriften des betreffenden Landes rechtskräftigen Urteils wegen eines Deliktes
bestraft worden sind, das ihre berufliche Zuverlässigkeit in Frage stellt;
d) die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit eine schwere Verfehlung begangen haben, die vom öffentlichen Auftraggeber nachweislich festgestellt wurde;
Klingt wieder sehr nach Microsoft, wobei hier nur ein „kann“ steht. Die Verordnung von 2002 ist da strikter, aber die reicht ja aus.
Allerdings gilt die Richtlinie im Vergleich zur Verordnung nicht nur für EU-Behörden selbst, sondern muss von den Mitgliedsstaaten auch in nationales Recht umgesetzt werden. Das ist in Deutschland noch nicht geschehen, da ist man mal wieder im Verzug. Wenn sie dann umgesetzt ist, würde das dann wohl bedeuten, dass Microsoft generell von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden kann.
Die grüne Europa-Abgeordnete Heide Rühle hat jetzt eine schriftliche Anfrage (PDF) dazu an die EU-Kommission gestellt, die innerhalb von sechs Wochen beantwortet werden muss. Man darf gespannt sein.
Heide Rühle dazu in einer Pressemitteilung:
Mit einer schriftlichen Anfrage an die Kommission wollen wir wissen, ob Microsoft nicht von laufenden oder künftigen Vergabeverfahren ausgeschlossen werden muss. Artikel 93 der EU-Haushaltsordnung sieht vor, dass Bieter, die eine schwere Verfehlung begangen haben und rechtskräftig verurteilt wurden, von Vergabeverfahren auszuschließen sind. Offensichtlich trifft dies auch auf Microsoft zu. Ich bin gespannt, ob die Regeln, die die Kommission mit aufgestellt hat, auch für sie selbst gelten.
Es wäre wirklich eine Sensation, wenn die EU-Institutionen keine neuen Microsoft-Lizenzen mehr anschaffen dürfen. Das hätte sicher eine große Signalwirkung. Schon der Fall München hat ja einiges ausgelöst und die EU ist da ja nochmal ein paar Stufen drüber (auch vom Umfang der betroffenen IT-Infrastruktur her). Möglicherweise werden alleine schon aus Gründen der Kompabilität einige andere Behörden dann auch umsteigen?
Ich bin wirklich gespannt, ob die Regeln wirklich so greifen wie sie da geschrieben sind oder ob sich vor dem Riesen Microsoft geduckt wird. Wobei die Strafzahlung selbst ja schon kein Wegducken war.
🙂
Die Pressemitteilung wurde übrigens heute erstmal exklusiv an Blogger geschickt und geht erst morgen an die Printmedien.
Nachtrag: Spreeblick berichtet nun auch.
1: Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates vom 25. Juni 2002 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften, Artikel 93 (b) und (c)
2: Richtlinie 2004/18/EG des Eeuropäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge, Artikel 45, (2) c und d.