OB-Wahl 2020 in Stuttgart: Ergebnisse und Gedanken

Stuttgart hat gewählt, denn es stand nach acht Jahren wieder die Wahl eines Oberbürgermeisters oder einer Oberbürgermeisterin an. Der Grüne Fritz Kuhn hatte sich nach einer Amtszeit entschieden, nicht wieder anzutreten. Bei einer Wahl 2012 sah es ohnehin noch so aus als dürfe er aus Altersgründen nur eine Amtszeit machen.

Rathaus Stuttgart (2020)

Nach vielen Jahren CDU-Herrschaft lagen zuletzt nicht nur beim OB-Posten, sondern auch im Gemeinderat und anderen Wahlen öfter mal die Grünen vorne. Entsprechend spannend war die Wahl grundsätzlich, da ja kein Amtsinhaber antrat und es zwei Parteien gibt, die um Platz 1 rangeln und sich gelegentlich abwechseln (mit Tendenz früher CDU, später Grüne). Auch wenn es natürlich eine Persönlichkeitswahl ist, das spielt ja mit rein.

Allerdings fand die OB-Wahl und der Wahlkampf unter Corona-Bedingungen statt, was sowohl Podiumsdiskussionen als auch Infostände mit oder ohne Kandidaten sehr eingeschränkt hat. Für einen Amtsinhaber wäre das wohl wegen des Bekanntheitsgrads tendenziell ein Vorteil gewesen, hier waren aber alle eher so mittelbekannt.

Sorgen machte ich mir gerade wegen Corona um die Wahlbeteiligung. Hat die Stadt eigentlich mitbekommen, dass OB-Wahl ist? Haben die Leute mitbekommen, dass jetzt OB-Wahl ist? Wie gehen sie damit um, dass wohl nur wenige einen oder mehrere der insgesamt 14 Kandidatinnen und Kandidaten kennenlernen konnten? Fragen über Fragen und ich machte mir etwas Sorgen um die Demokratie.

Die Wahlbeteiligung war dann allerdings rekordverdächtig. Es war die höchste seit 24 Jahren. Das klingt grandios – und das trotz Corona. Allerdings ist es dann doch sehr traurig, wenn man sich bewusst macht, dass dieser relative Rekord nur bei 49,0 % liegt. Nur knapp die Hälfte geht wählen und das ist dann auch noch die höchste Wahlbeteiligung seit 1996.

Kommen wir zum Ergebnis des ersten Wahlgangs zur Oberbürgermeister-Wahl in Stuttgart 2020: CDU-Kandidat Frank Nopper liegt mit 31,8 % vorne, dann folgen Veronika Kienzle (Grüne) mit 17,2 %, Marian Schreier (eigentlich SPD, aber unabhängig angetreten) mit 15,0 %, Hannes Rockenbauch (lokale, ökosoziale Liste SÖS) mit 14,0 % und Martin Körner (SPD) mit 9,8 %. Details bei der Stadt Stuttgart.

Nun werden die meisten erwarten, dass es logischerweise und vom Wahlrecht her automatisch eine Stichwahl zwischen Platz 1 (Nopper/CDU) und Platz 2 (Kienzle/Grüne) gibt. Das kommunale Wahlrecht in Baden-Württemberg sieht aber eher das Gegenteil einer Stichwahl vor: Es können alle wieder antreten und es können sogar noch zusätzliche Personen ihre Kandidatur erklären. Nennt sich daher auch „Neuwahl“. Meiner Meinung nach sollte das Wahlrecht hier unbedingt geändert werden.

Aus meiner Sicht sollte dennoch informell klar sein, dass nur noch Platz 1 und 2 antreten, damit man auch erfährt, was die Mehrheit nun bei der verengten Auswahl möchte. Bleiben mehr Kandidaten im Rennen, besteht ja die Gefahr von z.B. 34 zu 33 zu 33. Und das wäre bei nur zwei Kandidaturen womöglich 66 zu 34 ausgegangen – und damit hätte dann jemand anders gewonnen. Sowas sollte ja aber nicht am Wahlrecht hängen (die USA lassen grüßen).

Nun gibt es zahlreiche Gespräche. SPD-Kandidat Martin Körner (Platz 5) hat bereits zurückgezogen – mit Empfehlungen für den zweiten Wahlgang hält er sich (noch?) zurück. Andere stellen Bedingungen oder machen mehr oder weniger deutlich, dass sie eher weiterhin antreten. Mehr als zwei Kandidaturen nutzen aber automatisch dem Erstplatzierten, den wiederum Platz 2 bis 5 eigentlich alle verhindern wollen.

Aber wie sollte es anders sein als dass Platz 2 als Alternative in den Ring steigt? Man kann doch dem Wahlvolk nicht erklären, dass Platz 3 oder 4 gegen Platz 1 antritt. Das würde doch niemand verstehen. Wenn da die Chancen besser wären, hätten doch mehr diese Person gewählt. Und mehrere Kandidaturen aus der gleichen Ecke nutzen wiederum nur CDU-Kandidaten, den da eigentlich einhellig keiner will. Eine Empfehlung für jemand anderen ist schön, kann man aber meiner Meinung nach nicht erwarten. Ein Zurückziehen der Kandidatur finde ich aber im Sinne der Demokratie selbstverständlich, auch wenn das Wahlrecht das hier anders sieht.

Verrückte Lage. Dazu passend oben mein Foto vom Rathaus aus dem Juli 2020 mit dem Banner „Irritierte Stadt“ drauf. Als hätte ich damals geahnt, dass ich vier Monate später ein Foto suchen werde, um diesen Blog-Eintrag zu bebildern.

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Fritz Kuhn: Stuttgarts neuer Oberbürgermeister

Fritz Kuhn ist der neue Oberbürgermeister von Stuttgart. Das haben die Stuttgarter gestern deutlich entschieden. Das ist ein grandioser Erfolg und wie Matthias Filbinger gestern Abend sagte, auch ein Zeichen von Nachhaltigkeit. Anders als von böswilligen Konkurrenten damals behauptet, war der Sieg bei der Landtagswahl 2011 eben kein Zufallserfolg, der vor allem auf der damals ganz frischen Fukushima-Atomkatastrophe basierte.

Winfried Kretschmann und Fritz Kuhn (Wahlparty, OB-Wahl Stuttgart 2012)

Zu verdanken ist dieser Sieg auf grüner Seite drei Faktoren: Fritz Kuhn als Person, der mit großer Ernsthaftigkeit und Seriosität diesen Wahlkampf betrieben hat, die Geschlossenheit und das große Engagement der Grünen in Stuttgart (und weit darüber hinaus) und nicht zu unterschlagen auch die jahrzehntelange Vorarbeit seit der ersten grünen Landtagsfraktion in Stuttgart – nicht zuletzt ist hier auch wieder Fritz Kuhn mit im Spiel, genau wie Winfried Kretschmann. Zwei Persönlichkeiten, die die Grünen in Baden-Württemberg in den letzten 30 Jahren stark geprägt haben.

Aber auch außerhalb der Grünen gibt es Faktoren. Da ist zum Einen das stark verbesserte Verhältnis zur SPD – was nicht zuletzt auch dem Kreisvorsitzenden Dejan Perc zu verdanken ist – aber auch die Kandidaten-Entscheidung der CDU. Aus meiner Sicht haben sie schlicht und einfach den falschen Kandidaten aufgestellt. Andreas Renner wäre mit seiner Weltoffenheit, großen Sympathien auch unter Grünen-Anhängern und seiner OB-Erfahrung aus Singen sicher ein schwierigerer Gegner gewesen.

Sebastian Turner wiederum hat jetzt vermutlich gelernt, dass Politik nicht so einfach ist, wie er wohl dachte. Sein massiver Strategiewechsel – vom Versöhner („Miteinander. Mit Turner.“) zum aggressiven Wahlkämpfer – zeigte auch die Panik von CDU, FDP und Freien Wählern nach dem ersten Wahlgang. Neben der Freude über den Sieg von Fritz Kuhn und der Erleichterung, dass Turner nicht OB der Landeshauptstadt wird, ist mir aber vor allem auch wichtig, dass diese Lügenkampagne von Turner nicht gezogen hat. Man muss damit leben können, dass der politische Gegner die Wahl gewinnt (da haben wir ja auch jahrzehntelange Übung drin). Aber wenn er mit diesen unwahren Behauptungen in puncto City-Maut und Tempo 30 gewonnen hätte, wäre das unerträglich gewesen.

Wahlparty auch draußen (OB-Wahl Stuttgart 2012, Schlesinger)

Die Stimmung auf der Wahlparty im Schlesinger war erwartungsgemäß spitze. Überwältigt war ich allerdings als ich nach drei Stunden mal wieder rauskam und sah, dass draußen nochmal etwa doppelt so viele Menschen waren wie drinnen und die Polizei deshalb inzwischen die Straße abgesperrt hatte. Eine Trommler-Gruppe war dort und irgendjemand zündete sogar kurz ein Feuerwerk.

Das weckte Erinnerungen an die Landtagswahl. Der Politikwechsel im Land wurde am Wahlabend mit einer Art Volksfest auf dem Schlossplatz begangen („Mappschiedsparty“). Das ist doch ein schöner, harmonischer Einstieg in das neue Amt, das Fritz Kuhn ab Januar bekleiden wird: Erster grüner Oberbürgermeister einer Landeshauptstadt. 🙂

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OB-Wahl Stuttgart: Fritz Kuhn hat fast gewonnen!

Der erste Wahlgang ist rum – und Fritz Kuhn liegt vorne. So hätte ich mir die Stuttgarter Oberbürgermeisterwahl nicht träumen lassen als damals Fritz zum grünen Kandidaten ausgerufen wurde. Sebastian Turner, der für CDU, FDP und Freie Wähler ins Rennen ging, hatte zwar eine Umfrage in Auftrag gegeben, die das schon vorausgesehen hatte, aber so richtig ernstgenommen habe ich das damals nicht – die SPD stand ja noch völlig ohne Kandidat/in da.

Michael Joukov, Henning Schürig und Fritz Kuhn beim Neujahrsempfang der Grünen in Göppingen 2006Turner kämpfte damals dafür, überhaupt von der CDU nominiert zu werden. Andreas Renner, früherer CDU-Sozialminister und Ex-OB von Singen, war ebenfalls im Rennen und wäre aus meiner Sicht auch klar der bessere Kandidat gewesen. Man entschied sich für Turner, weil der angeblich mehr Chancen hätte, auch über das eigene Lager hinaus zu wirken. Letztlich hat er mit 34,5 % aber nicht einmal das eigene Lager mobilisiert, denn CDU, FDP und Freie Wähler hatten bei der letzten Kommunalwahl deutlich mehr Stimmen (45,5 %).

Fritz Kuhn hingegen hat mit 36,5 % die bisherigen Grünen-Ergebnisse in Stuttgart noch übertroffen. Ein klares Zeichen dafür, dass er auch als Person überzeugen konnte. Die von der SPD nominierte Schwäbisch Haller Bürgermeisterin Bettina Wilhelm kam nur auf 15,1 %, gefolgt von Hannes Rockenbauch, der für Stuttgart Ökologisch Sozial (SÖS) und damit als Hardcore-S21-Gegner antrat, und damit 10,4 % der Stimmen bekam.

Folgerichtig zog Bettina Wilhelm ihre Kandidatur nun zurück. In Baden-Württemberg gibt es nämlich kurioserweise keine Stichwahl im zweiten Wahlgang, sondern eine sogenannte „Neuwahl“. Diese Neuwahl ist einfach ein zweiter Wahlgang in dem jeder Kandidat und jede Kandidatin wieder antreten kann – und sogar neue hinzukommen können.

Die SPD beklagt sich nun sehr stark darüber, dass die Umfragen, die ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Fritz Kuhn und Sebastian Turner prognostizierten, ihrer Kandidatin stark geschadet haben. 25-jähriges Landtags-Jubiläum der Grünen mit Fritz Kuhn und Günther Oettinger (2005)Das ist sicher auch richtig. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass Bettina Wilhelm ja auch in den Umfragen schon weit hinten lag. Insofern haben die Ergebnisse der Umfragen sie durchaus nochmal ein paar Prozent gekostet, aber sie wäre auch ohne diese nicht auf Platz 2 gekommen und wohl auch nicht in die Nähe. Zumindest bei der internen Aufarbeitung sollte die SPD das berücksichtigen.

Die CDU versucht nun mit ganz fadenscheinigen Argumenten zu verhindern, dass sie das „zweitwichtigste Amt in Baden-Württemberg“ auch noch an die Grünen verliert. Turner wiederum ist recht kleinlaut geworden. Meinte er anfangs noch, auch im ersten Wahlgang schon gewinnen zu können, heißt es nun: „‚Ich bin sehr zufrieden‘, sagt Sebastian Turner endlich, es sei das erwartete spannende Kopf-an-Kopf-Rennen, […]“.

Eigentlich kann jetzt nichts mehr schiefgehen. Selbst wenn niemand zurückziehen würde und alle in zwei Wochen wieder genauso wählen wie jetzt, wäre Fritz Kuhn der neue OB von Stuttgart. Aber nur eigentlich. Es gehen nämlich erfahrungsgemäß im zweiten Wahlgang weniger Leute zur Wahl. Wer lieber Fritz Kuhn möchte, aber nicht zur Wahl geht, hilft damit Sebastian Turner (und natürlich auch andersrum). Wenn jetzt zu viele Kuhn-Anhänger denken, er habe ja eh schon gewonnen, kann das fatal werden. Nicht umsonst zielt die CDU jetzt auf die Nichtwähler. Ich glaube aber, dass es noch wichtiger ist, dass alle, die im ersten Wahlgang gewählt haben, auch im zweiten wieder hingehen und die Entscheidung nicht den anderen überlassen.

Dann können wir in zwei Wochen den ersten grünen OB einer Landeshauptstadt feiern. Vielen Dank an alle, die dies bis hierhin mit möglich gemacht haben – jetzt noch zwei Wochen! 🙂

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