Fast 100 Schulleiter aus Baden-Württemberg fordern in einem Brief an den Kultusminister das Ende des dreigliedrigen Schulsystems. Sie verweisen auf internationale Studien, dass durch Gemeinschaftsschulen sowohl in der Breite, wie auch in der Spitze die Leistung gesteigert werde.
In den Kreisen Ravensburg und Bodensee haben bereits 96 von 131 angeschriebenen Leitern von Grund- und Hauptschulen den Brief unterschrieben.
Ich kann das Ansinnen nur unterstützen. PISA hat uns gezeigt, dass wir bei den 15-Jährigen erhebliche Defizite haben, IGLU hat gezeigt, dass diese Defizite in den Grundschulen noch nicht da sind. Klar ist also, dass die Probleme mit der Aufteilung auf Hauptschule, Realschule und Gymnasium erst wirklich beginnen. Unter der Hand bestätigen das auch CDUler.
Zudem haben bei PISA die besten Hauptschüler bessere Ergebnisse erreicht als die schlechtesten Gymnasiasten. Von Gerechtigkeit kann also definitiv keine Rede sein. Die einen können nachher studieren, die anderen nicht.
Im Frühjahr 2006 machte sich UN-Bildungsexperte Vernor Munoz ein Bild von Deutschlands Bildungssystem und legte einen umfassenden Bericht vor. Auch hier wieder die Bestätigung, dass in Deutschland viel zu stark die soziale Herkunft über die Bildungschancen entscheidet.
Das Kultusministerium Baden-Württemberg hingegen kennt schon seine Antwort: Nein.
Wozu bilden wir eigentlich Bildungsexperten und Pädagogen aus, wenn wir dann ihre fachliche Meinung permanent ignorieren?
Weil am Ende immer noch die Politik entscheidet. Und wenn die, mit Sumpfkreaturen wie Oettinger an der Spitze, sagt, daß sich diese dreckigen Arbeiter- oder wechselweise eben die knoblauchfressenden Ausländerjungen nicht einbilden sollen, in einer Klasse mit den Politikerkindern zu sitzen oder gar studieren zu dürfen, dann bleiben die Dinge halt so, wie sie sind.
Hallo zusammen 🙂
ich widerspreche dir jetzt einfach weil du bestimmte Dinge vermischt.
Es lässt sich sicherlicht nicht abstreiten dass auch der coolste und lauteste Pubertierende bis in die 9. Klasse gemerkt hat, dass wir eine Leistungsgesellschaft sind. Ich sehe dennoch ein Problem – denn es sollten ja sowohl die über- aber auch die unterforderten Kinder gefördert werden. Und empriisch ist einfach belegt das die wirklich guten, unterforderten selten eine Förderung erhalten und sich die gesamte die Klasse am schwächsten orientiert.
Hinzu kommt, dass der Vergleich mit PISA und Finnland absolut hinkt, da dort sowohl historisch als aber vor allem demographisch ganz andere Bedingungen vorherrschen.
Eine der wichtigsten Leistungen der Schule neben der Bildung ist sicherlich die Integration von Kindern mit anderem kulturellen Hintergrund und anderer Nationalität – und diese Aufgabe muss in Finnland in einem weit geringeren Maße bewältigt werden da dort die Ausländerquote in den Schulen einfach niedriger ist.
Ich hätte nichts gegen ein vernünftiges Gesamtschulkonzept. Aber vernünftig bedeutet für mich nicht, dass man einfach allen Schülern das gleiche (im Zweifel zu niedrige) Niveau anbietet, sondern dass es ein Kurssystem gibt, dass es im Extremfall einem Legastheniker ermöglicht Hochschulreife in Fächern wie Mathe oder Phyik zu erhalten.
@ Wiebke
Ich weiß nicht, ob du es dir nicht ein bisschen einfach damit machst, wenn du sagst:
“ Und empriisch ist einfach belegt das die wirklich guten, unterforderten selten eine Förderung erhalten und sich die gesamte die Klasse am schwächsten orientiert.“
Wenn du dir die skandinavischen Länder anschaust, dann siehst du nämlich, dass dort durch das Gesamtschulsystem eben nicht Mittelmäßigkeit hervorgebracht wird, sondern, dass Spitzenleistungen ermöglicht werden, aber zugleich auch ein totales Abrutschen der SchülerInnenleistungen verhindert wird. Deutschland hingegen hat dieses System der Mittelmäßigkeit, das du bei der Einführung eines Basisschulsystems offenbar zu befürchten scheinst. Selbst diejenigen, die hier als absolute Spitze gelten (Bayern, BaWü), sind international gesehen nur Mittelmaß…. Irgendwie kann das also nicht zusammenpassen, was du beschreibst.
Was ich außerdem bei den großen BefürworterInnen der Dreigliedrigkeit (zu denen ich dich jetzt gar nicht unbedingt zähle) absolut vermisse, sind die Lösungvorschläge für eines der größten Gerechtigkeitsdefizite der heutigen Gesellschaft: Der erschreckende Zusammenhang zwischen sozialer oder ethnischer Herkunft und den Bildungschancen…. Wer sich noch nicht einmal bemüht, darauf Antworten zu geben, die/der kann seinen Anspruch auf Gerechtigkeit gleich begraben….
> Der erschreckende Zusammenhang zwischen sozialer oder ethnischer Herkunft und den Bildungschancen…. Wer sich noch nicht einmal bemüht, darauf Antworten zu geben, die/der kann seinen Anspruch auf Gerechtigkeit gleich begraben.
Dieser Zusammenhang wird zwar immer wieder genannt, ich habe bisher allerdings nie verstanden warum das mit der Dreigliedrigkeit zu tun haben soll. Ist es nicht prinzipiell vollkommen gleichgültig, ob (wie auch immer) benchteiligte Schüler auf einer Hauptschule gefördert werden oder in einer Gesamtschule?
„Sie verweisen auf internationale Studien, dass durch Gemeinschaftsschulen sowohl in der Breite, wie auch in der Spitze die Leistung gesteigert werde.“
Leistungssteigerung in der Spitze vermutlich dadurch, daß begabtere und wohlhabendere Schüler auf Privatschulen ausweichen.
Genau das passiert nämlich in erheblich größerem Umfang als in Deutschland in den USA und Großbritannien.
Oliver: „Selbst diejenigen, die hier als absolute Spitze gelten (Bayern, BaWü), sind international gesehen nur Mittelmaß…. Irgendwie kann das also nicht zusammenpassen, was du beschreibst.“
Hast Du dazu belastbare Quellen? Nach meiner Erinnerung schnitten die deutschen Gymnasien bei den Pisa-Untersuchungen durch die Bank recht ordentlich ab.
„Wenn du dir die skandinavischen Länder anschaust, dann siehst du nämlich, dass dort durch das Gesamtschulsystem eben nicht Mittelmäßigkeit hervorgebracht wird, ….“
Du nennst das Problem ja selbst beim Namen – „die skandinavischen Länder“ … ich kann doch nicht Äpfel mit Birnen vergleichen und dann davon ausgehen dass etwas was in anderen Ländern funktioniert die ultimative Lösung für ein völlig anderes Problem ist.
Wenn man sich also unbedingt auf PISA bezieht sollte man eben genannte Äpfel bei den Äpfeln lassen und die Lösung für Deutschland auch in den deutschen Ergebnissen suchen. Und da sind Bayern und Baden-Württemberg nunmal vorne …
Davon abgesehen habe ich mich bisher weder für ein gegliedertes (!) noch für ein Gesamtkonzept ausgesprochen.
Auf jeden Fall muss ich Jan recht geben – ich sehe keinen Zusammenhang zwischen Dreigliedrigkeit und der Förderung benachteiligter Schüler.
Ich denke nicht unbedingt, dass das Schulsystem das alleinige Problem ist, sondern die Einstellung. Wenn jemand bereit wirklich bereit ist etwas zu lernen hat er dazu vermutlich sowohl im gegliederten als auch im gesamtschulischen Konzept eine Chance.
Himmel, was für eine uninformierte Debatte!
@Til
Dann tu uns was gutes und klär uns auf. Immer offen für bessere Ideen
Zu einem wirklich fundierten Debattenbeitrag habe ich gerade auch keine Zeit (deswegen mein unqualifizierter Zwischenruf). Deswegen nur drei Denkanstöße:
1. Es reicht nicht aus, Individuen zu betrachten, wie das Jan oben macht, wenn er fragt, ob „benachteiligte“ SchülerInnen nicht in verschiedenen Systemen gleich gut gefördert werden können — das interessante an gut funktionierenden gesamtschulartigen Modellen (in ganz unterschiedlichen Ländern) ist eben, dass (1) die Möglichkeit zur individuellen Förderung gegeben ist, aber diese (2) eben gerade nicht in homogenen Gruppen und Kontexten stattfindet. Wenn ich vorher alle schön nach „kann nichts“, „kann ein bißchen was“, „kann viel“ sortiere, habe ich nachher eine „kann nichts“-Gruppe (egal, ob HS oder Kurs einer desintegrierten Gesamtschule), die dann von LehrerInnen auch genau so behandelt wird. Wenn die selben individuellen SchülerInnen LehrerInnen in ganz unterschiedlichen Kontexten und Gruppenzusammensetzungen begegnen, sieht das möglicherweise schon ganz anders aus.
2. Die Überlegung, dass es prinzipiell falsch sei, deutsche PISA-Ergebnisse mit Ergebnissen aus anderen Ländern zu vergleichen, widerspricht der Idee hinter PISA: da ging es ja genau um einen internationalen Vergleich. Wichtiger wäre es, nicht einfach nur die (vielleicht noch nach Bundesländern aufgesplittete) Ranking-Ziffer zu vergleichen, sondern auch zu schauen, wie diese jeweils zustande kommt. Da ist zum Beispiel das hier interessant, vor allem ab Kapitel 6, wo es um den Zusammenhang zwischen PISA-Ergebnissen und Sozialstruktur geht, und um die abschließende Zusammenfassung der Bundesländerdifferenzen in Kapitel 8.
3. Wiebke, du schreibst: Wenn jemand wirklich bereit ist, etwas zu lernen, hat er dazu in beiden Konzepten eine Chance. Das ist sicher richtig — aber der Brief der HauptschulrektorInnen bezieht sich genau darauf, dass die „ausgewählte“ Klientel der Hauptschulen zu einem großen Teil aus Kindern und Jugendlichen besteht, die — aus unterschiedlichen Gründen — nicht mehr bereit sind, etwas zu lernen. Und die politisch spannende Frage ist doch nicht die, wie diejenigen, die etwas lernen wollen, gefördert werden (die sollten natürlich auch alle Möglichkeiten dazu haben), sondern wie Schule so organisiert sein kann, dass niemand seine oder ihre Lust am Lernen verliert. Die PISA-Spitzengruppe besteht aus Ländern, die entweder sehr stark auf Disziplinierung setzen (Japan, Korea — hier wird, platt gesagt, Bereitschaft zu Lernen durch externe Sanktionen erzeugt) und aus Ländern (v.a. Finnland), die es schaffen, kindliche Neugierde und Kreativität in heterogenen Gruppen zu erhalten. Letztlich geht es nicht in erster Linie um Gliederung oder Einheitsschule, sondern um die intrinsische Motivation für Lernen und die dafür notwendige individuelle Betreuung und soziale Gestaltung der Schule. Und die beiden sind nun wiederum — und deswegen geht es dann doch um die Einheitsschule — besser möglich, wenn nicht nach angeblichen Leistungsgruppen vorsortiert wird.
> Wenn ich vorher alle schön nach “kann nichts”, “kann ein bißchen was”, “kann viel” sortiere, habe ich nachher eine “kann nichts”-Gruppe.
Genau dass würde „mein Modell“ dadurch vermeiden, dass jeder die Chance hat sich nach seinen Stärken zu orientieren. Es gibt niemanden, der nichts kann. Und es gibt auch keine „geborenen Handwerker“ oder sowas. Ich hielte es für sinnvoll, jedem zu ermöglichen sich zu spezialisieren, das am besten so früh es geht. Davon unabhängig sollte ein gewisser Anspruch an die Allgemeinbildung natürlich nicht aufgegeben werden.
Aber von „Matheidioten“, die hervorragende Deutscharbeiten schreiben oder verdammt gut im Werken sind muss meiner Meinung nach nicht unbedingt eine Kurvendiskussion erbracht werden, damit man ihnen beispielsweise ein Studium gestattet.
@Jan
Und was in deiner Argumentation spricht jetzt gegen eine Gemeinschaftsschule? Das klingt doch eher wie ein Beitrag dafür.
Sollte es ja im Grunde genommen auch sein, nur würde ich nicht unbedingt allen Schülern das gleiche niveau anbieten, sondern sie etwas mehr nach ihren Interessen unterrichten, statt starre Standards vorzugeben.