Wie wichtig zwei gesunde Beine sind, merkt man, wenn man sie nicht mehr hat. Ich habe am Samstag den halben Vormittag im Rollstuhl verbracht, glücklicherweise aber nur aus politischen Gründen – um die Perspektive eines Rollstuhlfahrers kennenzulernen.
Es sind nicht nur die offensichtlichen Dinge, wie dass man mit einem Rollstuhl eben keine Treppen heraufkommt. Die ganze Sichtperspektive ist eine andere. Man sieht quasi alles auf Höhe der „Warnung vor dem Hund“-Schilder – oder „auf Arschhöhe“ wie einer der uns begleitenden tatsächlichen körperlich Behinderten es nannte.
Extrem schwierig ist es, Türen aufzumachen. Die Telefonzelle habe ich gerade noch geschafft. Allerdings habe ich automatisch auch Kräfte eingesetzt, die die meisten Rollstuhlfahrer nicht einsetzen können, z.B. die Hüftmuskeln.
Trotzdem war es extrem schwer bis unmöglich, mit dem Rollstuhl in die Räume von ec-Karten-Automaten zu kommen. Überhaupt ist Türen öffnen sehr schwer.
Wir sind auch mit den Rollstühlen in ein Straßen-Café gefahren. Automatisch sucht man sich den erstbesten Platz der frei ist. Manche Leute verlassen mehr oder weniger fluchtartig ihren Platz. Die Hilfsbereitschaft ist generell groß, aber oft auch gepaart mit einem eher nonverbal geäußerten „Ich will damit nichts zu tun haben“.
Die meisten Rollstuhlfahrer, so lernten wir, wollen möglichst selbstständig leben und sind oft nicht so erfreut, wenn jeder alles für sie machen möchte. Sie wollen, dass die Städte so gestaltet sind, dass sie sich dort selbstständig bewegen können. Da sind wir leider noch lange nicht angekommen, wie uns unter anderem auch beim Besuch des Marktes in Böblingen klar wurde.
Das Rollstuhl-Training habe ich (und viele andere) im Rahmen der Landesmitgliederversammlung der Grünen Jugend Baden-Württemberg durchgeführt. Das Ober-Thema war Gesellschaftspolitik.
Ganz besonders brutal fand ich, den steilen anstieg in die innenstadt zum Marktplatz. Ging eigentlich nur, weil wir einigermaßen kräftige Schieber hatten.
Meine Schieberin hatte auch so ihren Muskelkater. Ich kann mich jetzt gar nicht an so schwere Stellen erinnern, was das Schieben angeht, aber vielleicht war ich zu der Zeit auch selbst im Rollstuhl und nicht Schieber.
Interessant war auch, dass in der Feedback-Runde danach sehr viele betonten, wie groß das Vertrauen zum Schieber sein muss.
Mein Cousin sitzt auch im Rollstuhl und als er dann einen Rollstuhl bekommen hat, wurde auch die ganze Wohnung umgestaltet, damit er sich möglichst frei und selbstständig bewegen kann. Schade, dass diese „Rollstuhl-Welt“ dann schon vor der eigenen Haustüre wieder aufhört.
Als Nicht-Rollstuhlfahrer kann man sich sicher gar keine Vorstellung von den alltäglichen Schwierigkeiten machen, daher war es sicher eine interessante Erfahrung, die ihr da gemacht habt.
Ich finde solche und ähnliche Trainings sollten Pflicht für alle Poltikier werden. Oder zumindest für all jene, die sich mit diesem Thema befassen.
Bei der Schulung während meiner Zivi-Zeit haben wir einen Ausflug in die nächste Großstadt gemacht und uns auch in Rollstühlen fortbewegt. Ich kann Hennings Einschätzung nur teilen. Man hat keine Vorstellung von den alltäglichen Schwierigkeiten und macht sich daher viel zu wenige Gedanken über so babale Hürden wie Bordsteine und Treppen.
Schöne Idee übrigens, sich im Rahmen einer LMV in diese Situation ein wenig einzufühlen!
Bemerkenswert ist ja, dass es den iBot (siehe http://www.ibotnow.com) hier nicht gibt. Außerdem bietet die Uni Hannover eine Technik an, die Rollstühle klettern lässt, aber kein Hersteller nutzt sie.
Strandspaziergänge waren bislang ja auch nur denen möglich, die es Kraft ihrer eigenen Beine schafften. Heute haben wir den cadWeazle – ein elektrischer Strand- und Geländerollstuhl. Mehr dazu findet ihr auf meinem Blog.