Klein-Günther hat Scheiße gebaut. Groß-Günther hat daraus gelernt. Er war damals 17. Ohne sein Outing wäre niemand auf die Idee gekommen, dass er in der Waffen-SS war. Genau deshalb sind viele jetzt enttäuscht von ihm, dabei zeigt genau das doch, dass er danach viel richtig gemacht hat. Mehr als jetzt seine Kritiker. Deswegen: Keep off the Günther Grass.
Lesenswert dazu auch: Grasswurzel-Journalismus, Demontage einer moralischen Instanz und die Frage, ob der Kirchen-Karrierist Joseph der heutige Papst ist.
Angeblich (die Presse berichtet da widersprüchlich, der Kölner Stadtanzeiger hat offenbar seine Quellen nicht herausgerückt) soll er ja gefürchtet haben, daß die SS-Mitgliedschaft aus anderen Quellen ans Licht kommen könnte.
Und ein recht überzeugender Vorwurf lässt sich m. E. nicht so leicht entkräften: Gerade über die Vergangenheitsbewältigung urteilte Grass recht entschieden und lautstark. Hätte er beispielsweise angesichts des Reagan/Kohl-Auftritts auf dem Soldatenfriedhof die Karten offengelegt, wäre seine Kritik sicher auch eine andere gewesen. Man hätte sich dann fragen müssen, ob auf dem Friedhof nicht auch andere liegen könnten, die zwar dabeiwaren, aber keinen einzigen Schuss abgaben.
Und als Schönhuber das unsägliche Buch über seine SS-Zeit veröffentlichte, hätte ein damals schon offener Grass viel überzeugender sagen können: Ich war auch dabei, habe aber geirrt. Aus dieser Position heraus hätte er Schönhubers Ansichten überzeugend entgegentreten können.
Es ist (mal wieder) ein Armutszeugnis, was da mit Herrn Grass passiert. Traurig, traurig.
Jap Niels, der Grass ist ja nicht mehr der Jüngste und wenn er denn dann stirbt und es erst dann heraus gekommen wäre, könnte man sein Lebenswerk zerstören, ohne das er sich wehren könnte. Finde ich zumindest.
Und dann vor dem neuen Buch. Eigentlich geschickt gemacht.
Aber jetzt wird es erstmal Zeit für Diskussionen. Er ist heute beim Beckmann oder beim Kerner, glaube ich. Da werde ich doch gleich mal reinschauen.
@Niels
Ich sag ja nicht, dass er perfekt gehandelt hat, aber wie er jetzt runtergemacht wird, das ist unerträglich. Dass er gefürchtet haben soll, dass es aus anderen Quellen bekannt wird, kann ich auch nicht nachvollziehen. Er hat das doch auch in seinem neuen Buch geschrieben und nicht schnell als Hosen-runterlass-Taktik mal eben gesagt.
Ist doch OK, die Moss gibt an, Drogen genommen zu haben, wenn ihr neues Buch raus kommt, und der Grass sagt halt was mit Hitler. Beide haben Aufmerksamkeit. Ziel erreicht.
In der FR ist heute ein offener Brief von John Irving zu dieser Sache zu lesen. Motto: „Grass bleibt für mich ein Held.“ Außerdem ein Interview mit dem Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann. Beide werfen nochmal ein anderes Licht auf die Debatte. Irvings Beitrag finde ich interessant, da hier der Blick von außen (in diesem Fall: USA) mal wieder erhellend wirkt. Auch Herrn Graumanns Sicht der Dinge ist sehr differenziert.
Im Übrigen stimme ich Henning darin zu, dass es scheußlich ist, wie begierig die Grass-Hasser hier die Gelegenheit ergreifen, einen wirklich überragenden Autor politisch fertig zu machen. Sicher hätte er seine Meldung zur Waffen-SS früher bekanntmachen sollen, das ist ihm vorzuwerfen. Aber es haben sich wohl nur wenige so gegen das Vergessen engagiert wie er, wie Herr Graumann ebenfalls ausdrücklich anerkennt. Also: get real, folks!
Im Übrigen dürfte eine Autobiographie eines solchen Autors doch auch unabhängig von der gegenwärtigen Publicity, sei sie nun gewollt oder ungewollt, spannend zu lesen sein. Oder?
Ich finde es ein bisschen befremdlich zu lesen, dass man sich mehr „Distanz“ und Abgeklärtheit von „unserer Generation“ erhofft. Die Opfer der SS sind heute tatsächlich Greise und ich habe noch von keinem ein „Ist doch nicht so schlimm“ gelesen. Und wer von uns jungen dürfte das wohl vor ihnen sagen, wer?
Hallo Bastian,
ich möchte nicht missverstanden werden. Ich denke, dass es keine Entschuldigung unserer Generation für die Verbrechen im Zweigen Weltkrieg geben kann.
Aber ich habe den Eindruck, dass sich in der Debatte keine Auseinandersetzung um „Damals“ abspielt, sondern Rache genommen wird für die Art und Weise, wie Günter Grass (notwendigerweise) die Debatten der letzten Jahrzehnte bestimmt hat. Und als die Generation, die diese Konflikte nur aus der geschichtlichen Distanz kennt, hat insofern meiner Meinung nach tatsächlich einen abgeklärteren Blick auf die Auseinandersetzung.
Im Übrigen haben durchaus gerade Opfer von damals Partei für Grass ergriffen, ob Ralf Giordano oder der österreichische Schriftsteller Robert Schindler (https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,431681,00.html).
Dies zur weiteren Belebung der Debatte
Sebastian Weigle