Politisches Chaos in der Schweiz

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Einige werden sicher mitbekommen haben, was heute und gestern in der Schweiz passiert ist. Bei der Wahl am 21. Oktober konnte die stärkste Partei, die SVP, dank heftiger und sehr umstrittener Kampagnen weiter zulegen.

Die Regierung der Schweiz nennt sich Bundesrat. Das ist das, was bei uns das Kabinett ist. Sieben Minister bzw. Bundesräte sitzen darin. Traditionell von 1959 bis 2003 gingen nach der sogenannten Zauberformel jeweils zwei Ministerposten an SP, FDP und CVP und einer an die SVP. 2003 konnte die SVP der CVP einen Sitz abjagen.

Die umstrittenen Kampagnen der SVP gingen insbesondere von ihrem Bundesrat Christoph Blocher aus, der bis heute Justizminister der Schweiz war. Er spielte gleichzeitig Regierung und Opposition.

Als nun gestern die sieben Bundesratsmitglieder gewählt wurden, hatten sich SP, Grüne und Teile der CVP offenbar abgesprochen statt Blocher die SVP-Frau Eveline Widmer-Schlumpf zu wählen. Die hatte dann auch etwas mehr Stimmen als Blocher, woraufhin in der SVP großes Chaos ausbrach. Ihren ebenfalls gewählten Bundesrat Samuel Schmid forderten sie auf, die Wahl nicht anzunehmen, was er jedoch tat und die SVP ihn dafür aus ihrer Fraktion ausschloss.

Eveline Widmer-Schlumpf erbat sich Bedenkzeit bis heute früh. Die SVP drohte auch ihr, sie aus der Fraktion auszuschließen, wenn sie die Wahl annimmt. Dennoch hat sie es heute morgen getan.

Doch was nun? Die SVP hat nun zwei Minister im Bundesrat, die quasi nicht mehr zu ihnen gehören, die aber nur aufgrund des Wahlergebnisses der SVP überhaupt gewählt wurden. Wenn die SVP jetzt die Regierung verlässt, warum sollen dann SVP-Minister in der Regierung sein? Wenn aber die beiden nicht mehr zur SVP gehören, warum sollen sie dann in der Regierung sein?

Alles nicht so einfach. Hätte nicht gedacht, dass es noch so spannend wird. Aber ich freu mich natürlich sehr.

Wer übrigens noch einen Grund gegen die SVP sucht, mir fiel dabei echt die Kinnlade runter:

In der aktuellen Budgetdebatte wehrt sich die Partei zum Beispiel gegen weitere Einschnitte bei den Agrarsubventionen und fordert stattdessen Kürzungen bei den Bildungsausgaben.

Andere zum Thema:

Update: Ich vergaß den Link zu der netten Parodie des SVP-Wahlplakats. Dem aktuellen Anlass entsprechend ist das schwarze Schaf, das gekickt wird, nun Christoph Blocher. 🙂

Dieser Beitrag hat 7 Kommentare

  1. daniel g

    So gelöst wie gestern morgen, als die Kunde von Blochers Nichtwahl die Runde machte hatte ich die Eidgenossen selten erlebt. War gerade in einer Sitzung, als die Nachricht eintraf. Danach gab es nur noch Jubel und Freude. Als dann heute morgen kurz nach acht die Nachricht durchdrang, dass Widmer-Schlumpf die Wahl angenommen habe gab es kein halten mehr. Bei uns an der Hochschule wurde einem von allen entgegengerufen, dass die Zeit des Blochers nun Endgültig in der Regierung vor bei sei…

  2. jo@chim

    „Schweizer Blog Antibürokratieteam“

    … unsere Autoren schreiben aus Bischberg, London, Berlin, Brüssel, Berlin, München, dem Rheinland und Basel… also „Europäisches Blog“ bittschön 🙂 Obwohl es ja keine Schande wäre, in Felicitas Helvetia ansässig zu sein…

  3. Henning

    @jo@chim
    Huch, ich hätte wetten können, ihr hättet als Domain-Endung .ch, komisch. Muss ich gleich mal oben ändern.

    @daniel g
    Hab dich eben noch bei den Links ergänzt. Am Anfang des Schreibens hatte ich dich noch im Kopf, am Ende nicht mehr. Ursprünglich wollte ich aber auch nur ein paar Zeilen schreiben. *g*

    Das mit dem Jubel an der Uni freut mich. Wie es wohl bei den Bauern auf dem Land zugeht? Hab so manche Kommentare zu dem Ganzen gelesen, wo es hieß, das wäre nicht wirklich demokratisch, schließlich sei die SVP mit Blocher als Spitzenkandidat stärkste Partei geworden etc. Aber erstens hat man ja SVP-Leute gewählt und zweitens sind knappe 30 % immer noch eine klare Minderheit.
    Die Mehrheit der Schweizer ist sicher zufrieden damit, dass Blocher nun aus dem Bundesrat raus ist (oder ausgeschafft wurde, wie ihr da unten sagt).

  4. Till Westermayer

    Drei wichtige Anmerkungen: erstens glaube ich, dass es falsch ist, an die Schweiz die Kategorien des politischen Betriebs anzulegen, die wir so kennen — dass Blocher nicht gewählt wurde, hat etwas damit zu tun, dass er die informellen Regeln der auf Konsens (zwischen den etablierten Parteien) angelegten Schweizer Demokratie gebrochen hat, indem er einen fokussierten, personenorientierten Wahlkampf durchgeführt hat. Die Wahl einer gemäßigten SVP-Frau war insofern sozusagen Notwehr des Systems — nicht prinzipiell an der kollegialen, auf mehrere Personen verteilten Regierung zweifeln, aber die Person Blocher ablehnen und ablösen (die vierte Abwahl eines Bundesrats seit 200 Jahren oder so).

    Zweitens: die Parteibindungen in der Schweiz scheinen mir loser zu sein als hier. Frau Widmer-Schlumpf scheint sich eher der kantonalen SVP als der Bundes-SVP verbunden zu fühlen, und die scheint sie auch weiterhin zu unterstützen. Und die BundesrätInnen — also die Regierungsmitglieder — scheinen mir sehr viel stärker als hier als Personen zu agieren und wahrgenommen zu werden (mag auch was mit den starken direktdemokratischen Elementen zu tun haben). Die Stimmzahlen (siehe z.B. die NZZ, die alle BundesrätInnen einzeln vorstellt und deren Ergebnisse kommentiert) schwanken sehr stark, die Fraktionsdisziplin scheint mir schwacher ausgeprägt zu sein. Auf der Ebene also — auch wenn’s ein bißchen zu paradox zu Punkt 1 klingen mag — eine stärkere Personalisierung als bei uns.

    Drittens: rot-grün ist natürlich ein bißchen weit hergeholt. Damit meine ich zweierlei. Zum einen ist durch Blochers Wahlkampf und die Reaktion drauf das Schweizer System dabei, sich zu verändern (auch da ist der NZZ-Kommentar ganz interessant). Bisher wäre rot-grün wegen Verstoß gegen die „Zauberformel“ undenkbar gewesen. Sollte diese jetzt aber brüchig werden, könnte es zu einer „Europäisierung“ des parlamentarischen Systems kommen, bei dem sich politische Mehrheiten abwechseln — langfristig dann auch rot-grün. Zum anderen ist die Abwahl eine Kooperation von SP, Grünen und Teilen der Christdemokraten gewesen. Wenn die SVP jetzt auf Oppositionskurs geht, könnte dies dazu führen, dass die 70% andere Parteien demnächst zusammen die Regierung stellen — und Grüne sich dann vielleicht auch daran beteiligen. Auch insofern sehe ich eine gewisse Stärkung der grünen Partei in der Schweiz. Das jetzt rot-grün zu nennen, ist natürlich übertrieben und mag der Freude über das Ergebnis (und die manchmal doch recht positiven Überraschungen des Schweizer Politikbetriebs) geschuldet sein …

  5. niels | zeineku.de

    Erstmal haben die SVPler offenbar den schwarzen Schlumpf rausgeworfen, statt des schwarzen Schafes. 🙂

  6. Henning

    Besser nen schwarzen Schlumpf als ein braunes Schaf. Oder so.

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