Was ich bei der ganzen Debatte um die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung nicht verstehe ist folgendes: Die Mehrwertsteuer wurde zum 1. Januar von 16 auf 19 % erhöht. Ein großer Teil dieses Geldes – ich meine, etwa die Hälfte – wurde zur Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge verwendet. Mir geht’s jetzt gar nicht darum, ob diese Umschichtung (weg von den Lohnnebenkosten und damit den Arbeitnehmern hin zur Mehrwertsteuer und damit faktisch zu allen) sinnvoll war.
Aber eigentlich ist das ja ein Zuschuss für die Bundesagentur für Arbeit aus Steuermitteln. Normal soll sie ja mit ihren Beiträgen wirtschaften. Nun hat die Bundesagentur mehr Einnahmen (durch die Mehrwertsteuer und durch mehr Beitragszahler) und weniger Ausgaben (durch weniger Arbeitslose).
Dadurch hat sie nun Milliarden-Überschüsse. Was ich nun nicht verstehe: Warum kommt keiner auf die Idee, mit diesem Geld die Zuschüsse aus Steuermitteln wieder zu reduzieren? Eigentlich soll die Bundesagentur doch alleine mit ihren Beiträgen auskommen, oder?
Man kann das Geld ja trotzdem zur Senkung der Lohnnebenkosten verwenden, indem man den Steuerzuschuss bei der Rentenversicherung erhöht. Dort sind die Beiträge nämlich wieder am steigen. Von 19,5 % ab 1. Januar 2003 auf 19,9 % seit 1. Januar 2007. Die Rentenversicherung mit den etwa 80 Milliarden EUR Steuerzuschuss kommt so oder so mit ihren Beiträgen nicht hin und wird das aufgrund der demographischen Entwicklung wohl auch nie wieder.
So könnte man die Lohnnebenkosten senken und die Arbeitslosenversicherung würde wieder ohne Steuermittel auskommen.
Hi Henning.
Interessante Überlegungen, die du da anstellst. Wenn das Geld als Steuerzuschuss der Rentenversicherung zugeführt wird, löst man aber das Problem ja trotzdem nicht, dass eine Sozialversicherung sich eigentlich selbst tragen sollte, aber das in fast allen Fällen (ALV, GRV, PV) nicht tut.
Warum nicht die „überschüssigen“ Verpflichtungen in den Sozialversicherungen, die der Lebensstandardsicherung dienen und nicht dem Schutz vor existenzieller Not, von Steuerzuschüssen ganz ausnehmen (untergräbt ja auch das Versicherungsprinzip), und mit den Steuern nur die „Basic Needs“ abdecken. Und nein, das muss NICHT zwingend heissen Grundeinkommen, kann aber (gibt aber ja sonst auch genug zu tun, was man mit Steuern sinnvollerweise anfangen kann, von Kinderbetreuung bis Nahverkehr).
Aber noch mehr Steuergelder in die Rente stecken: bitte, bitte nicht!
Die Rentenversicherung ist so im Arsch, die kommt ohne Steuergelder so oder so nicht aus. Du musst da auch mehr Steuergelder reinschießen, wenn du die bisher erworbenen Ansprüche der jetzigen Beitragszahler (und selbst wenn du nur die nimmst, die schon mind. zehn Jahre einzahlen) irgendwie einigermaßen finanzieren willst.
Und wenn nun eine der Sozialversicherungen ohne Beitragssteigerungen in der Lage wäre, sich selbst zu tragen, wie es bei der Arbeitslosenversicherung ja offenbar der Fall ist, dann wäre ich schon dafür, dass sie das auch tut und man eben statt der Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung den Steuerzuschuss wieder reduziert (oder gar ganz streicht, kenne die genauen Zahlen nicht).
Was man dann mit den gesparten Steuermitteln macht, ist eine zweite Diskussion. Was ich nur sagen wollte: Auch wenn man die erfreuliche Situation der Bundesagentur für Arbeit dazu nutzen möchte, die Lohnnebenkosten zu senken, so muss das noch lange nicht auf diesem Weg geschehen, sondern wäre eben z.B. auch bei der Rente möglich. Dafür würde sich dann die Arbeitslosenversicherung endlich wieder selbst tragen (oder zumindest fast; wie gesagt, kenne die genauen Zahlen nicht).
Dass man die versicherungsfremden Leistungen aus Steuermitteln bezahlen sollte, ist davon ja komplett unabhängig.
Rein mathematisch hast du ja recht, das kann man natürlich schon so drehen wie von dir vorgeschlagen. Von der Symbolik her finde ich es trotzdem sinnvoller, wenn Ursache (Verändergunen von Beitragsaufkommen) und Effekt (Erhöhung / Senkung der Beitragssätze) in der Politik nahe beieinander liegen. Dass die Rentenversicherung „im Arsch“ ist, ist zwar drastisch formuliert, aber ich stimme dir zu. Auf den immensen Reformdruch hat man aber bisher noch nicht angemessen reagiert. Und zusätzliche Steuermittel nehmen da nur den Druck von der GRV, was zu änern, verschieben also die Lösung. Das Argument mit den „erworbenen Anspruchen“ ist natürlich völlig richtig. So lange man bei der Rente aber nicht grundlegend etwas dreht, werden ja laufend neue Ansprüche erworben – und dann drehen wir uns im Kreis, und kommen gar nicht mehr aus dem demographischen/rentenpolitischen Laufrad.
Aber nun gut, ich wollte dein Blog nicht für Fachdebatten missbrauchen.
Rock on!
Die SPD-Linke will nun den Steuerzuschuss streichen und in die Krankenversicherung umleiten.
Zu deinem Kommentar:
– Ursache und Wirkung nahe beieinander: Naja, durch den Steuerzuschuss ist doch der Überschuss der Arbeitsagentur erst so hoch.
– Blog für Fachdebatten „missbrauchen“: Eine Fachdebatte ist doch hier unter diesem Beitrag absolut passend und angebracht.
– Mir ist auch klar, dass in der Rente laufend neue Ansprüche erworben werden. Mir ging es nur darum, einfach mal die Denkmuster etwas zu öffnen, dass man mit dem Geld auch was anderes machen kann, da es eben eigentlich nicht nur ein Überschuss der Bundesagentur für Arbeit ist, sondern ein offensichtlich nicht mehr benötigter Steuerzuschuss.
Vielen Dank für den Hinweis auf die Vorschläge, das Geld in die Krankenversicherung zu stecken: dafür gilt dann wiederum ähnliches (wenn auch nicht ganz das gleiche), wie wenn man es in die Rente steckt: ein kleiner schritt beim Umbau vom Sozialversicherungs-Staat zum steuerfinanzierten Sozialstaat. Das ist an sich nichts schlechtes, ich persönlich würde das sogar sehr begrüßen.
Mich stört aber die Konzeptionslosigkeit und Flickschusterei, die da betrieben wird: wenn man diesen Umbau für notwendig hält, dann muss man ihn auch politisch propagieren und von vorne herein in diese Richtung arbeiten, und zwar in jeder Sozialversicherung einzeln und mit Sinn, Plan Verstand und Blick für Nachhaltigkeit – langfristige Politik also, die nicht darauf angewiesen ist, bei kurzfristigen Konjunkturanstiegen freudig mit dem Schwanz zu wedeln, sofort danach aber wieder im selbst verschuldeten Jammertam versinkt. Dieser schleichende Umbau nach dem Motto „Oh, wir haben da ein paar Milliarden übrig, stecken wir die jetzt dahin oder dahin oder dorthin um Lohnnebenkosten zu senken?“, das wirkt einfach nicht zielgerichtet, sondern nach anhaltender Mängelverwaltung. Es hilft kurzfristik über die Runden, und bringt ein paar Prozentpunkte bei Beiträgssätzen ein – löblich, löblich. Eine Konzeption, wo man denn nun wirklich hin will mit unseren sozialen Sicherungssystemen ist es aber nicht – und genau diese Konzeption fordere ich ein. Selbstredend aber nicht von dir, Henning, allein.
In ein 10-15 Jahren werden wir nur noch eine Mindestrente haben.
Gruß Carsten
Interessant finde ich übrigens eine Aussage, die ich vor einiger Zeit mal irgenwo gelesen habe: Sowohl beim derzeitigen Rentensystem als auch beim kapitaldeckenden muß die gegenwärtliche Wirtschaft für die beiträge aufkommen (nicht ganz O-Ton).
Darin liegt eine gewisse Wahrheit. Denn Versicherungen legen das angesparte Geld ja nicht auf irgendein Konto, sondern arbeiten damit. Wenn nun der Versicherungsfall eintritt, werden die Zahlungen aus dem laufenden Umsatz heraus getätigt.
Der einizige Unterschied liegt darin, daß die staatliche Rente nicht über Rendite sondern Steuern sich schadlos hält.