Natürlich freue auch ich mich, dass Barack Obama ab Januar der nächste US-Präsident sein wird. Natürlich bin auch ich gespannt, inwiefern er es schafft, die hohen Erwartungen, die er geweckt hat, zu erfüllen – und wie die Reaktionen in den Bereichen sein werden in denen er es nicht schafft.
Und gerade als Web-Mensch bin ich auch sehr neugierig wie Obama die Dialog-Marketing-Tools, die einen Teil seines Erfolgs ausmachen, als amtierender Präsident für seine Politik nutzen wird.
Aber vor allem frage ich mich, warum jetzt halb Deutschland die Nacht vor dem Fernseher verbringt, heute gähnend begeistert von der Wahl-Nacht erzählt, es aber bei Wahlen in Deutschland vielleicht gerade mal hinkriegt ein oder zwei Kreuzchen zu machen.
Da waren tatsächlich gestern Menschen auf Wahlpartys, die in ihrem eigenen Land nicht einmal wählen gehen. Und das nicht mal aus Frust, sondern „weil ich so uninformiert bin“.
Verrückte Welt.
Trotz politischem „Brand“ würde ich das, was Obama da eingesetzt hat, eigentlich ungern als „Dialog-Marketing-Tools“ bezeichnet wissen. Irgendwie geht der politische Anspruch dabei verloren (stört mich auch in anderen Kontexten).
Um deutlich zu machen, was ich meine: Marketing für einen politischen Richtungswechsel ist das eine. Leute, die eine Überzeugung bei sich entdecken, politisch einzubinden, aktiv werden zu lassen und so Energie zu gewinnen (und ein kleines bißchen Kontrolle zu verlieren) — das ist noch mal eine ganze Klasse anders. Und funktioniert nur unter ganz bestimmten Randbedingungen.
„Tool“ suggeriert, dass es immer geht, wenn nur das richtige Werkzeug eingesetzt wird; „Marketing“ suggeriert, dass es in eine Richtung geht, und auch „Dialog“ fängt das nicht auf, sondern klingt dann eher nach Euphemismus fürs Überreden.
Wie würdest du es nennen?
P.S.: Tool bzw. Werkzeug impliziert bei mir, dass da natürlich mehr dahintersteckt. „Das ist nur ein Tool“ wäre da ne typische Aussage. Haben im Studium wohl oft genug eingebläut bekommen, dass ein Werkzeug nur ein Werkzeug ist und es eben immer noch drauf ankommt, was man damit macht. Ein Hammer kann sehr praktisch sein – wenn man zum Beispiel einen Nagel in eine Wand kriegen will. Aber wenn man von A nach B kommen möchte, bringt dir auch der beste Hammer nichts.
Du schreibst:
„Aber vor allem frage ich mich, warum jetzt halb Deutschland die Nacht vor dem Fernseher verbringt, heute gähnend begeistert von der Wahl-Nacht erzählt, es aber bei Wahlen in Deutschland vielleicht gerade mal hinkriegt ein oder zwei Kreuzchen zu machen.“
Ich fürchte, die Antwort ist relativ einfach: Weil es in Deutschland keinen Obama gibt. Obama hat die Leute auch bei uns mit seinen Visionen gepackt und begeistert, wie es derzeit wohl kaum ein deutscher Politiker zu schaffen vermag. Vielleicht waren es auch weniger die Inhalte und mehr sein Auftreten, seine Art, Wahlkampf zu machen und seine Betonung des „Change“, die die Leute fasziniert haben. Was davon stärker gewirkt hat, weiß ich nicht, aber wie man sieht, war er damit hochgradig erfolgreich. Die Frage ist daher für mich, was *wir* daraus lernen können. Wo können wir noch besser werden, um unsere grünen Visionen, die ja ohne Frage da sind, effektiver an die Menschen zu bringen? Wir sollten Obama nicht kopieren, aber von ihm zu lernen, kann nicht falsch sein, oder?
In der Tat faszinierend, was die Demokraten im Wahlkampf marketingmäßig auf die Beine gestellt haben.
Ich denke, zu Regierungszeiten wird das schon deswegen etwas anders aussehen, weil der „Graswurzelcharme“, der viele jetzt zum Mitmachen bewegte, dann nur noch eingeschränkt spürbar ist. Wenn es darum geht, Unterstützer für die alltägliche Regierungspolitik zu motivieren, wird es schwieriger werden, ihnen zu vermitteln, dass sie Teil einer großen, das Land verändernden Bewegung sind.
Nun ja das die Bildfraktion so handel ist doch klar. Vielleicht schafft man es ja auch zur Bundestagswahl die Menschen so zu motivieren (vielleicht schafft man es ja dann über 50% Wahlbeteiligung…
Ich frage mich auch, ob es bei der nächsten Bundestagswahl, wenn die eine oder andere Partei die Mehrheit errungen hat, Autokorsos und Hupkonzerte, Feuerwerk und Parties auf öffentlichen Plätzen geben wird.
Auf jeden Fall sind die deutschen Parteien noch Lichtjahre davon entfernt, die Wähler so gekonnt über das Internet anzusprechen, wie das die US-Parteien schaffen. Was da im Obama vs. McCain-Wahlkampf über Social Networks, Blogs, Foren und youTube ablief war meilenweit von dem entfernt, was die deutschen Parteien bislang im Internet aufgeboten haben bzw. im nächsten Jahr aufbieten werden.
Wenn man sich vor Augen führt, wie viel politisches Fundraising, aber auch wie viel Wählermotivation und „Gefühle der Basis abklopfen“ in den USA via Internet realisiert wird… Selbst wenn es bei uns nur zehn Prozent dieses Potenzials gäbe (und warum sollte das nicht der Fall sein), würde es sich für jede Partei lohnen, über Online-Wahlkampf nachzudenken…
@Harald: Wenn ich mich recht erinnere, gab es bei der letzten oder vorletzten BTW sowas.
Zum Vergleich Deutschland/USA bzgl. der Kampahme hat Markus Beckedahl einiges geschrieben: http://netzpolitik.org/2008/vergleich-obama-kampagne-und-deutscher-internetwahlkampf/
Und demnächst soll angeblich „change.gov“ online gehen — die Webbegleitung zur Transitionsperiode.
(Till: nicht blind tippen, das soll natürlich Kampagne heißen)
@Henning: wie ich das nennen würde: internetbasierte Freiwilligenkommunikations- und -organisationsplattform
@Harald: Anno 1998 hatten wir im beschaulichen Backnang einen kleinen Autokorso als Kohl abgewählt wurde. Die Menschen um die 20 Jahre kannten damals in ihrem Leben gar keinen anderen Kanzler als Kohl.
In Griechenland ist das übrigens üblich. Da denkt man nach Wahlen, die hätten wieder die Europameisterschaft gewonnen.
Sind es denn jetzt eurer Meinung nach eher die Visionen, die den Bürgern in Deutschland an der Politik fehlen oder eher die charismatischen Personen?
Eigentlich sollte es sich ja um Inhalte drehen…