Warum? Nein, nicht warum überhaupt, sondern warum jetzt? Mich wundert es schon sehr, dass diese Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung jetzt plötzlich eine so große Debatte vom Zaun bricht, die beide (Noch-)Volksparteien erfasst.
Ist das wirklich neu, was da drin steht? Oder wird die Relevanz des Themas Armut erst so richtig entdeckt seit alle paar Tage ein von den Eltern vernachlässigtes, misshandeltes oder gar getötetes Kind durch die Medien geistert?
Ich finde vor allem wichtig, dass man beim Thema Armut auch genauer hinschaut. Diese Definition mit der Hälfte des Durchschnittseinkommens hat sicher irgendwo ihre Berechtigung, aber wenn es wirklich um Armut geht, verdeckt sie eher Probleme als dass sie welche aufzeigt. Eine relativ große Anzahl von Leuten ist nach dieser Definition arm. Da man mit 900 Euro Einkommen aber auch dazugehört, nimmt man diese Anzahl natürlich nicht wirklich ernst. Klar, mit 900 Euro hat man nicht viel Geld, aber arm würde ich das nicht nennen.
Viel relevanter ist doch die Frage: Wer lebt von weniger als 600 Euro? Oder gar weniger als 400 Euro? Und eben Fragen, die mit Geld gar nicht unbedingt was zu tun haben: Die Integration in die Gesellschaft. Familie, Freundeskreis, ein soziales Netz im nicht-monetären Sinn eben. Wenn dieses fehlt, nennen Fachleute das soziale Exklusion. Die hängt teilweise auch mit Geld zusammen, denn mit Freunden möchte man was unternehmen. Oft findet das soziale Leben mit Freunden in Kneipen und Cafés statt. Das kostet aber alles Geld. Genauso wie der Eintritt ins Kino oder die Disco.
Wenn die Freunde sich das leisten (können), steht man selbst oft vor einem Problem. Entweder Geld ausgeben, das man eigentlich nicht hat oder nicht mitgehen und damit – wenn das kein Einzelfall bleibt – den Freundeskreis dezimieren. Wer nicht mitgeht, ist doch relativ schnell aus den Augen aus dem Sinn und gehört irgendwie nicht so richtig dazu.
Aber es sind nicht immer nur Geldprobleme. Vielen fehlt auch jemand mit dem sie offen über Probleme reden können. Familien sind zerstritten, Scheidungen häufen sich, Kinder wachsen mit Gewalt auf und auch gesundheitliche Probleme treten bei niedrigen Einkommen viel häufiger auf.
Aber was löst diese Unterschichten-Probleme? Andere Wörter für Unterschicht jedenfalls nicht. Nenn sie bildungsfern, Menschen mit Erwerbslosenhintergrund, wie auch immer. Diese ganze Debatte ist natürlich wichtig. Endlich werden diese Probleme erkannt und als wichtig anerkannt. Aber es bringt alles nichts, wenn nicht auch etwas dagegen getan wird.
Nicht alle diese Probleme kann der Staat lösen. Aber das darf nicht dazu führen, dass gar nichts getan wird. Gerade monetäre Probleme muss der Sozialstaat in den Griff bekommen. Ein gewisses Minimum an Geld muss jedem zur Verfügung stehen. Zum Überleben, aber auch um sozial nicht zu verwahrlosen. Die Höhe von solchen Transferleistungen ist immer stark umstritten. Viel wichtiger finde ich jedoch, Lücken zu schließen. Hartz IV ist sicher kein Luxus, aber was ist mit denen, die weniger haben? Das bedingungslose Grundeinkommen wäre eine Möglichkeit, Lücken im Sozialstaat zu schließen. Aber auch andere Ideen sind mir sehr recht. Diese Probleme müssen wir in den Griff bekommen. Nicht nur aus Gründen sozialer Gerechtigkeit und Menschlichkeit.
Wenn diese Entwicklung so weitergeht, kippt unsere Gesellschaft. Das ist ganz sicher nicht im Interesse der Wohlhabenderen. Also sollte auch dort das Bewusstsein vorhanden sein, dass hier etwas getan werden muss. Selbst wenn man Menschlichkeit eher für eine Sache verblendeter Gutmenschen hält.
Aber zurück zu dem nicht-finanziellen Aspekt. Die Menschen müssen eingegliedert werden in die Gesellschaft. Früher war dies unter anderem auch sehr stark durch Kirchen der Fall. Familien waren auch viel mehr als heute ein Netz. Wer also vereinsamt, muss raus in Vereine oder Organisationen. Ehrenämtler werden ohnehin gebraucht und das Gefühl gebraucht zu werden, ist für die Menschen wichtig.
Wer ein Netz von Menschen um sich rum hat, verzweifelt auch nicht so schnell, wenn er mal arbeitslos ist. Mal ganz abgesehen davon, dass so ein Netz(werk) auch durch Kontakte gut dabei helfen kann, wieder einen Job zu finden.
Wie kriegt man also diese Menschen dazu, sich ein soziales Netz aufzubauen und zu halten? Und was tut man gegen die finanziellen Probleme? Auf diese Fragen brauchen wir Antworten und nicht nur eine kurzlebige Debatte und dann weiter mit der Tagesordnung.